Ukraine-Konflikt bringt auch getrennte Kirchen aus der Balance
Das russische Vorgehen in der Ukraine hat auch Auswirkungen auf die schwierigen Beziehungen zwischen Moskau, Rom und Konstantinopel.
von Alexander Brüggemann / KAP / KNA
Die russische Eskalation im Ukraine-Konflikt stellt das Zusammenleben in Europa, wie es über die vergangenen drei Jahrzehnte gewachsen ist, radikal in Frage. Das betrifft natürlich in erster Linie die existenziellen Fragen von Krieg und Frieden, Leben und Tod, sowie humanitärer Not. "Krieg ist immer eine Niederlage für die Menschheit", so sagen Kirchenvertreter seit Papst Johannes Paul II. (1978-2005) unisono; auch Kirchenvertreter aus Moskau.
Am Ende hat der militärische Konflikt aber auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen den getrennten christlichen Kirchen. Die uralten historischen Spaltungen der Christenheit schienen durch unerwartete, spektakuläre Spitzenbegegnungen in den 2010er Jahren für eine kurze Zeit wenn nicht heilbar, so doch nicht mehr völlig hoffnungslos. Doch dann schlug der Krim-Konflikt 2014 nach und nach auf die gesamte Orthodoxe Kirche durch. Und die Verwerfungen dort - die manifeste Spaltung zwischen Moskau einerseits und Konstantinopel und Alexandrien andererseits - bedrohen auch die jüngeren diplomatischen Errungenschaften des Vatikan im Bereich der Orthodoxie. Das Gefüge der Christenheit, gerade erst in Entspannung begriffen, ächzt unter den Konflikten.
Dabei gab es im abgelaufenen Jahrzehnt "historische" Begegnungen wie seit dem "Frühling des Zweiten Vatikanischen Konzils" in den 1960er Jahren nicht mehr: das allererste Treffen eines Papstes mit einem Moskauer Patriarchen auf Kuba im Februar 2016; der Flüchtlingsgipfel der Griechisch-orthodoxen Kirche mit Papst Franziskus auf Lesbos im April 2016; die Begegnung der Patriarchen von Rom, Konstantinopel und Alexandrien in Ägypten im April 2017. Zuletzt waren immer mehr Stimmen zu hören, dass es noch dieses Jahr zu einem zweiten Treffen von Papst Franziskus und dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. kommen könnte.
Moskau als das "Dritte Rom". Doch solche neuen Bande sind noch schwer belastbar - was vor allem mit der dominanten und teils aggressiven Rolle Moskaus in der Weltorthodoxie zusammenhängt. Nach dem definitiven Ausscheiden Roms aus dem spätantiken Konstrukt der "Pentarchie" (griech. Fünfherrschaft; die Patriarchate von Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem) und dem Untergang des Byzantinischen Reiches (1453) wurde Moskau 1589 zum Patriarchat erhoben und von der Synode der vier verbliebenen Pentarchen 1593 in Istanbul neu an die fünfte Stelle gereiht.
Moskau selbst sieht sich freilich als viel mehr: als das "Dritte Rom". Zudem hat es die bei weitem meisten Kirchenmitglieder in der orthodoxen Welt aufzuweisen: rund 150 von geschätzt 220 Millionen insgesamt. Der Mönch Filofei fasste das Moskauer Selbstverständnis 1510 in Worte, als er dem russischen Zaren schrieb, dieser sei "der einzige, der die Zügel der heiligen apostolischen Kirche" halte - die nun statt im untergegangenen Rom oder in Konstantinopel in Moskau stehe. "Zwei Rome sind gefallen, das dritte steht, und ein viertes wird es nicht geben."
Dieses selbstbewusste politische Statement hatte in jenen Jahren durchaus Berechtigung. Nachdem Großfürst Wladimir von Kiew 988 getauft und durch Eheschließung Teil der kaiserlichen Familie in Konstantinopel geworden war, war das werdende Russland noch über Jahrhunderte Teil der byzantinischen Reichskirche geblieben. Als dann "die Politik" versagte und die russischen Fürsten Mitte des 13. Jahrhunderts Vasallen der Mongolen wurde, wuchs die russische Kirche in ihre gefühlte historische Rolle als Identitätsstifterin der Nation und Wahrerin der russischen Kultur hinein.
Entscheidend für die Lehre vom "Dritten Rom" wurde, dass sich die vom Islam bedrohten Byzantiner 1439 in der kurzlebigen "Union von Florenz" auf eine kirchliche Wiedervereinigung nach der Spaltung von 1054 einließen, um aus Rom Unterstützung gegen die Osmanen zu erhalten. Als Konstantinopel schließlich 1453 an die Türken fiel, wurde dieser Untergang des "Zweiten Rom" in Moskau als Gottes Strafe für die Anbiederung an die Lateiner interpretiert. Der Zar ("Kaiser") galt fortan als einziger "Selbstherrscher" (byzantinisch "Autokrator"), und der Moskauer Metropolit - ab 1589 Patriarch - wurde fortan in Moskau und nicht mehr in Byzanz bestimmt.
Ehrenprimat Konstantinopels in Frage. Das Selbstverständnis vom "Dritten Rom" ist bis heute in den Köpfen der russischen Orthodoxie verankert. Es wird genährt von der neuen Nähe zum Putin-Staat, von neuem materiellen Reichtum und der zahlenmäßigen Größe Russlands im Konzert der orthodoxen Nationalkirchen. Konstantinopel, das "Zweite Rom", hatte dagegen im Laufe des 20. Jahrhunderts so viele politische Nackenschläge zu verkraften, dass es heute personell kurz vor dem Existenzminimum steht. Seine Größe innerhalb der Orthodoxie ist allein moralischer und geistlicher Art.
Umso mehr beäugte Moskau schon lange sowohl die Rolle des Ehrenprimats von Konstantinopel in der Weltorthodoxie als auch jede ökumenische Annäherung von Rom und Konstantinopel sehr argwöhnisch. Als Patriarch Bartholomaios I. dann Anfang 2019 eine von Moskau unabhängige orthodoxe Kirche in der Ukraine als "autokephal" anerkannte und darin vom Patriarchat von Alexandrien unterstützt wurde, zerschnitt Moskau mit beiden das Band der Kircheneinheit - und errichtete seither parallele Kirchenstrukturen in Afrika, dem kanonischen Territorium Alexandriens.
Rom in der Zwickmühle. Zwischen den Päpsten in Rom und den Patriarchen von Konstantinopel dagegen ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) eine echte ökumenische Freundschaft gewachsen. Die Wunden der langen Kirchenspaltung von 1054 heilen. Man erinnere sich nur an die herzlichen Umarmungen von Bartholomaios I. mit Benedikt XVI. bzw. Franziskus 2006 und 2014 in Istanbul oder an den Flüchtlingsgipfel auf Lesbos 2016.
Unter Benedikt XVI. (2005-2013) und Franziskus hat sich auch das zuvor frostige Klima zwischen Moskau und Rom deutlich verbessert - mit den Vorzeichen einer gemeinsamen Wertevermittlung und einer Zusammenarbeit in drängenden Weltfragen, etwa der Christenverfolgung im Nahen Osten oder der ökologischen Krise. Die neue Eiszeit zwischen Moskau und Konstantinopel bringt Rom in eine neue diplomatische Zwickmühle.
Dem ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. den Rücken zu stärken, bedeutet derzeit auch, die mühsam errungenen Fortschritte mit Moskau zu riskieren. Und auch wenn sich das russisch-orthodoxe Patriarchat zuletzt mit kirchenpolitischen Äußerungen zur Ukraine-Krise auffällig zurückhielt: Diesen Part hat am Montagabend Putin übernommen, als er eine Verfolgung von (Moskauer) Christen in der Ukraine insinuierte - und damit seine Einmarschpläne quasi-religiös zu legitimieren versuchte. Damit steht auch die Kirche in der vaterländischen Pflicht.
Autor:Redaktion martinus aus Burgenland | martinus |
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