martinus-Autor berichtet von einem Schicksalsschlag
Haarscharf an der Erblindung vorbei

Lange musste Christopher Erben auf einem speziellen Polster und mit Augenmaske schlafen. | Foto: Erben
  • Lange musste Christopher Erben auf einem speziellen Polster und mit Augenmaske schlafen.
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Die Corona-Pandemie veränderte das Leben vieler – auch meines. Ein Ereignis werde ich leider nicht so schnell vergessen. Jeden Tag muss ich daran denken.

Christopher Erben

In drei Wochen ist alles wieder gut“, sagt der Stationsarzt und drückt mir einen Untersuchungsbericht und eine Überweisung in die Hand. Seine Stimme klingt ruhig. Was machen Sie beruflich, will er von mir wissen, als ich beides in meinen Rucksack verstaue. Naja, ich arbeite hauptberuflich als Trainer und nebenberuflich als Journalist, stottere ich zurück. „Sie werden einige Wochen pausieren müssen. Kein Lesen und kein Schreiben. Seien Sie sich dessen bewusst.“ Ungläubig verabschiede ich mich von ihm und verlasse die Station. Während ich mich durch die nur schwach beleuchteten Gänge im Wiener Hanuschspital zum Ausgang vorantaste, telefoniere ich mit meiner Frau und schreibe hastig einige Whats-App-Nachrichten an meine Eltern. Der Ausgang – endlich. Netzhautablösung steht auf dem Untersuchungsbericht. Diese Wörter erinnern mich entfernt an einen Urlaubsort im Süden – mitten im ersten Lockdown im Frühjahr 2020. Wie weit ich davon entfernt bin, wird mir erst später bewusst werden.

Warum gerade ich? Der Mond verschwindet hinter den Wolken. Es ist kurz nach Mitternacht an diesem Ostersonntag. Erleichtert steige ich in meinen Wagen, der mich in nur wenigen Minuten vom Hanuschspital wieder nach Hause bringt. Dass ich mit dem linken Auge nur zur Hälfte sehe, irritiert mich in diesem Moment kaum. Kein Auto kommt mir entgegen. Die Straße ist wie ausgestorben. Anzeichen für eine Netzhautablösung wie Blitze oder Russregen bemerkte ich in den vergangenen Tagen nicht. Überhaupt kannte ich diese Erkrankung nur vom Hörensagen. Weshalb soll sie gerade mich ereilen? Ich bin doch viel zu jung. Erst als ich einen dunklen Schatten in meinem linken Auge wahrnahm und sich darin Flüssigkeit sammelte, wurde ich skeptisch und ließ mich in einer Augenabteilung untersuchen. Zuerst dachte ich an eine Entzündung des Tränenkanals.

Geradeaus, nach links, nach rechts. Als ich die Wohnungstüre aufsperre, ist es ein Uhr. Die Familie schläft. Hastig packe ich noch meinen Koffer und versuche zu schlafen, bevor ich mich in der Früh ins AKH aufmache. Hier soll ich operiert werden. „Schauen Sie bitte geradeaus, nach rechts, nach links – jetzt bitte nach links unten und nach rechts unten“, höre ich im Befehlston. Mehrere Augenärzte stehen um mich herum; stellen mir unzählige Fragen; untersuchen das Auge weiter. Helles Licht blendet mich. Eine Operation mit Vollnarkose sei unausweichlich. Ich würde sonst erblinden. Ob ich heute noch drankäme, können sie mir jedoch nicht beantworten. Ich wandere auf das Zimmer zurück, in dem ich alleine liege, da die Station wegen des Lockdown kaum belegt ist; höre Nachrichten und knabbere an einem Schokoosterhasen, bis kurz nach sechs eine Schwester mit dem Abendessen an die Tür klopft.
Es ist schon später Nachmittag, als ich vom Träger vom Aufwachraum wieder aufs Zimmer geschoben werde. Ich plaudere kurz mit ihm. Sein Akzent erinnert mich an einen Urlaub am Meer. Zur Beobachtung muss ich eine Nacht bleiben, sagt mir die Schwester. Fortan soll ich senkrecht oder in Bauchlage schlafen – auch mit Schutzmaske, damit sich die Netzhaut wieder an den Augapfel anlegt. Ich rücke den Schlafpolster zurecht und lege vorsichtig meinen Kopf hinein. Mein Auge ist dick geschwollen. Schmerzen spürte ich aber keine – weder in dieser Nacht, noch in der Früh.

Die nächsten Tage und Wochen muss ich jede Anstrengung vermeiden. Eine Anleitung für die erste Woche Daheim erhalte ich bei der Entlassung. Oft verbringe ich Vormittage im Bett; höre Radio Ö1 und Videos. Lesen darf ich keinesfalls – schon gar nicht mit einem Auge, da sich durch die Bewegung die Naht und die Laserung im Auge wieder lösen könnten. Im Inneren des Augapfel befindet sich nun ein Gasgemisch, das die Netzhaut an den Augapfel drücken soll.

Ab in die Verlängerung. Am ersten Maiwochenende waren viele Menschen unterwegs. Auch ich genieße die Natur; rieche die ersten Blüten; höre die Bienen, die zwischen ihnen herumschwirrten. Das Gas im Auge ist fast verschwunden. Langsam entdecke ich all das wieder – auch von links. Doch auf einmal bemerke ich einen Schatten im operierten Auge. Gehört das zum Heilungsprozess? Habe ich mich überanstrengt? Zweifel plagen mich. Am darauf folgenden Tag sitze ich daher erneut in der Augenambulanz des Wiener AKH. Netzhautablösung Nummer zwei, bestätigen mir die Ärzte nach mehreren Untersuchungen. Makula off, stammelt einer dazu. Was das bedeutet und welche Konsequenzen diese Diagnose hat, erfahre ich erst viele Monate später. Wieder Operation – erneutes wochenlanges Pausieren und Krankenstand. Acht Wochen lang verbleibt diesmal das Gasgemisch im linken Auge.

Herbst im Sommer. Während viele im Land die lang ersehnte Lockerung im Sommer genießen, warte ich immer noch; hoffe auf Besserung und mehr Normalität, die sich nicht einstellen wollen: Die Dioptrienzahl steigt innerhalb weniger Wochen auf über Minus elf. Trotz stärkerer Brille sehe ich vieles noch unschärfer als nach der ersten Ablösung: Konturen und Schriften verschwimmen, Gesichter in der Ferne zeigen eigenartige Grimassen. Zusehends verschlechtert sich auch die Helligkeit in meinem linken Sichtfeld. Eine Graue Star-Op wird unausweichlich. Im September ist es dann soweit: die Linse in meinem linken Auge wird getauscht.
Mit halber Sehkraft voraus. „Sie haben 60 Prozent Sehkraft“, freut sich mein Augenarzt nach der letzten Untersuchung. Das sei Glück im Unglück. Denn es hätte viel schlimmer ausgehen können. Viele Patienten würden nach einer Diagnose wie meiner nur mehr 30 Prozent sehen; einige erblinden sogar, weil sie sich nicht untersuchen lassen. Seine Worte waren wie Balsam auf meiner strapazierten Seele. Die Sehkraft werde nicht mehr weiter steigen, dämpft er meine Freude, da bei der zweiten Ablösung wichtige Sinneszellen auf der Netzhaut abgestorben sind, die sich in der Nähe des Sehnervs (Makula), im Zentrum des schärfsten Sehens, befanden. Auch lag meine Makula eine Zeitlang frei – Makula off, wie es Mediziner bezeichnen, was die Heilungschancen mindert.

Mit Gottvertrauen und Optimismus. Doch ich soll mein Leben wieder genießen, mich vom Auge nicht ablenken lassen, meint der Augenarzt abschließend. Das rechte Auge würde die Defizite des linken ausgleichen, ohne dass ich es bemerken werde. Wie bei der Behandlung von Covid19 mache auch die Augenheilkunde enorme Fortschritte. Darauf vertraue ich. Vielleicht fügt sich alles wieder, und ich werde bald wieder so gut sehen wie vor dem Corona-Frühling 2020. Mit Gottes Hilfe und viel Optimismus werde ich es schaffen. Ganz bestimmt. «
ZUM autor: Christopher Erben,.46, ist Vater von zwei Kindern und arbeitet in der Erwachsenenbildung. er schreibt als freier Journalist für Martinus, Wiener Zeitung und Granatapfel.

MEHR DARÜBER

Die Netzhautablösung (Ablatio retinae, Amotio retinae) ist ein medizinischer Notfall und betrifft vor allem kurzsichtige Personen. Dabei hebt sich die Netzhaut ab, die wie ein Film auf dem Augapfel liegt. Viele sehen dabei Russregen oder Blitze. Nervenzellen und Photorezeptoren, die auf der Netzhaut liegen und die Sinneseindrücke an den Sehnerv weiterleiten, können dabei absterben. Je früher eine Netzhautablösung behandelt wird, desto höher sind die Heilungschancen. Unbehandelt führt sie unweigerlich zur Erblindung.

Autor:

Redaktion martinus aus Burgenland | martinus

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