Taizè: Prior Frère Matthew im Gespräch
Der Ruf zur Versöhnung

„Wir befinden uns zwischen dem 
kontemplativen und dem apostolischen Ruf. Wir müssen Kampf und Kontemplation, menschliche Solidarität und inneres Leben, Engagement und Innerlichkeit miteinander verbinden“, meint Frère Matthew, neuer Prior von Taizè.  | Foto: KNA
  • „Wir befinden uns zwischen dem
    kontemplativen und dem apostolischen Ruf. Wir müssen Kampf und Kontemplation, menschliche Solidarität und inneres Leben, Engagement und Innerlichkeit miteinander verbinden“, meint Frère Matthew, neuer Prior von Taizè.
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Die Gemeinschaft von Taizé hat mit Frère Matthew einen neuen anglikanischen Prior –
nach dem protestantischen Gründer Frère Roger und dem katholischen Prior Alois.
Im Interview spricht Frère Matthew über seine Berufung und erzählt von seiner Friedenshoffnung.

Wie haben sich Ihre Wege mit denen von Taizé gekreuzt?
Frère Matthew: Ich bin aus dem Norden Englands und in eine praktizierende anglikanischen Familie hinein geboren worden. An der Universität von Sheffield lernte ich Freunde kennen, die wie ich nach einer besseren Nachfolge Christi suchten. Wir gehörten verschiedenen Konfessionen an, aber das Credo der Weltkirche, „eine, heilige, katholische und apostolische“ bewegte die jungen Leute, die gemeinsam zu beten begannen.
Unsere Gebetsgruppe verwendete Gesänge aus Taizé. Mehrere meiner Mitschüler waren dorthin gereist. Ich folgte ihrem Beispiel und fuhr in den Ferien für zwei Wochen dorthin. Wieder zu Hause angekommen, schloss ich mich mit sechs jungen Leuten in meinem Alter zu einer Gemeinschaft zusammen. Wir waren gerade einmal 20 Jahre alt. Einige Monate später, im Juli 1986, kehrte ich als Freiwilliger nach Taizé zurück. Und dort spürte ich den Ruf Christi, alles zu verlassen, um ihm zu folgen. Es war, als gäbe es keine Wahl zu treffen. Ich empfand diesen Aufruf zur Versöhnung, zur Einheit wie eine Selbstverständlichkeit. Ich fand darin das Gebet Jesu für seine Jünger wieder: „Sie sollen eins sein, damit die Welt glaubt.“ Mir schien, dass man in Taizé versuchte, diese Aufforderung Christi in die Praxis umzusetzen.

Hat Frère Rogers Persönlichkeit bei Ihrer Entscheidung eine Rolle gespielt?
Frère Matthew: Ich lernte ihn zunächst durch seine Schriften kennen. Insbesondere aus seinen Briefen, die mich sehr berührt haben. Mit ihm habe ich entdeckt, dass das christliche Leben nicht etwas Körperloses ist, sondern konkret im Alltag gelebt werden muss. Das ist ein Zeichen von Authentizität, es ist keine Flucht vor der Welt.
Wir befinden uns zwischen dem kontemplativen und dem apostolischen Ruf. Wir müssen Kampf und Kontemplation,
menschliche Solidarität und inneres Leben, Engagement und Innerlichkeit miteinander verbinden. Frère Roger war ein sehr bescheidener Mensch, der nicht viel von sich reden machte. Diese Demut hat mich berührt. Er hatte diesen Wunsch, zuzuhören und mit ihm einen Weg zu gehen.

Wie war Ihre Reaktion, als Frère Alois Sie gebeten hat, seine Nachfolge zu übernehmen?
Frère Matthew: Frère Alois hatte schon seit zwei Jahren davon gesprochen, sich zurückzuziehen. Es wurde eine Befragung durchgeführt: Jeder Bruder notierte auf einem Zettel den Namen von einem oder zwei Brüdern, die seine Nachfolge antreten könnten.
Als Frère Alois mich im Frühjahr 2023 zu seinem Nachfolger ernannte, war ich äußerst überrascht. Ich bereitete mich auf meinen Ruhestand vor und stellte mir vor, nach Bangladesch zu gehen und mich dort unserer kleinen Gemeinschaft von Brüdern anzuschließen. Meine erste Reaktion war, dass ich ablehnte und ihm alle Gründe nannte, warum ich dieses Amt nicht annehmen konnte. Durch Gespräche mit ihm und die Einholung von Rat außerhalb der Gemeinschaft wurde mir klar, dass ich Ja sagen konnte. Als ich meine Entscheidung getroffen hatte, spürte ich ein großes Gefühl des Friedens und viel Liebe zu den Brüdern.
Was wir gemeinsam erleben, trägt uns.

Wie sehen Sie Ihre Rolle als Prior?
Frère Matthew: In der Regel von Taizé wird der Prior als „Diener der Gemeinschaft“ beschrieben. Ich ziehe diesen Begriff dem des „Priors“ vor, der im Lateinischen den Ersten bezeichnet.
Ich bin da, um zu dienen. Jede Autorität ist in erster Linie Dienst und Zuhören. Diese Überzeugung, die auch die des Papstes ist, der diesen schönen synodalen Prozess in der katholischen Kirche initiiert hat, sollte uns alle inspirieren, auch unsere politischen Entscheidungsträger. Autorität ohne den Geist des Dienens wird zu Autoritarismus.
Ich mag das Bild von Jesus sehr, der vor seinen Jüngern niederkniet und ihnen die Füße wäscht. Wir befinden uns an einem Punkt, an dem wir aus dem Fundament heraustreten. Während wir einen familiären Aspekt in unserem Leben beibehalten, glaube ich, dass wir einige Strukturen einführen müssen, die mehr Klarheit in der Führung und in den getroffenen Entscheidungen ermöglichen werden. Von den 85 Brüdern, die die Communauté zählt, haben 15 Frère Roger nicht mehr persönlich gekannt. Wir treten in eine neue Zeit ein. Jeder muss das Gefühl haben, in die Leitung eingebunden zu sein. Wir werden in einen stärker synodalen Ansatz eintreten.

Was sind für Sie die Herausforderungen für die Zukunft von Taizé?
Frère Matthew: Das Wichtigste ist das, was wir innerhalb der Gemeinschaft leben. Das ist es, was die Authentizität unseres Ansatzes ausmacht. Das Glaubenszeugnis, das wir geben können, beginnt mit der Sorge um Kohärenz. Wir müssen unser gemeinsames Leben pflegen und unsere Ohren offen halten für das, was Gott heute von uns verlangt. Drei Realitäten prägen unsere Berufung: die ökumenische Dimension, das Gebet und die Gastfreundschaft. Wir leben das mit jungen Menschen, aber auch mit Menschen auf der Flucht oder die in Not sind. Es ist ein enormes Privileg, all diese jungen Menschen das ganze Jahr über zu empfangen, und das muss uns demütig machen. Aber wir dürfen nicht auf unseren Errungenschaften aufbauen. Auf welche Appelle sollten wir vorrangig reagieren? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir auf den Geist hören.

Sie waren vergangenes Jahr in Rom bei der Synode der katholischen Kirche. Was erwarten Sie sich weiter davon?
Frère Matthew: Ich war sehr beeindruckt von der Methodik des „Gesprächs im Geist“, die direkt von den Methoden des „gegenseitigen Zuhörens“ inspiriert war. Wir waren an Tischen versammelt, mit einem Kardinal, einem Bischof, mit Nonnen, einem Priester und Laien.
Wir begannen den Austausch mit der Anrufung des Heiligen Geistes. Dann drückte jeder, jede etwas von dem aus, was er/sie von dem angesprochenen Thema empfunden hatte.
Erste Runde: Man hört einander zu, man reagiert nicht. Zweite Runde: Man geht auf diesen oder jenen Beitrag ein. In der dritten Runde wird ein Konsens gesucht. Trotz der Spannungen, die es von Land zu Land gibt, haben wir es geschafft, gemeinsam voranzukommen.
Wenn man sich an Christus wendet, werden
komplizierte Fragen beantwortet. Wenn ich mit jemandem an einem Tisch sitze, auch wenn ich mit dem, was er sagt, nicht einverstanden bin, entdecke ich, dass ich etwas mit ihm zu teilen habe. Dass wir etwas gemeinsam haben.

Wie nehmen Sie den israelisch-palästinensischen Konflikt wahr?
Frère Matthew: Ich bin Gärtner und vor einiger Zeit hat mir ein Bruder ein Buch geschenkt, das von einem Fotojournalisten geschrieben wurde, der in Konfliktgebiete reiste. Dieser hatte entdeckt, dass die Menschen dort Gärten anlegten. Als ein Akt des Widerstands gegen das Unglück oder die Barbarei. Mehrere dieser Gärten befinden sich in Gaza. Ich denke jeden Tag an sie. Ich frage mich, was aus ihnen geworden ist. Mit der Hoffnung, dass andere neue Gärten pflanzen werden. Auch wir müssen neue Gärten anbauen. Das war die prophetische Geste Jeremias, der angesichts der Deportation ein Feld in Jerusalem kaufte. Die Propheten prangerten das Böse an, aber sie öffneten auch Wege der Hoffnung. Dies ist ein Aufruf zur Umkehr für jeden von uns. Ganz natürlich haben wir Sympathien für die eine oder die andere Seite. Aber wie kann man bei all dem den Menschen, das menschliche Wesen lieben. Manche glauben, dass Gott nichts tut. Das ist der Punkt, an dem wir stehen müssen, in diesem Leiden.
Ist Gott abwesend? Mein Glaube sagt mir, dass er es nicht ist. Es liegt vor allem an uns, ihn präsent zu machen.

Interview: Laurent Grzybowski

Autor:

TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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