Erinnerungen an das Café Schindler in Innsbruck
Wurzeln finden

Meriel Schindler (Mitte) mit ihrer ehemaligen Turnlehrerin Ellie Müller (li.) und Klassenvorständin Sr. Teresa Reh bei der 
Lesung im Ursulinen-Gymnasium.  | Foto: Kaltenhauser
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  • Meriel Schindler (Mitte) mit ihrer ehemaligen Turnlehrerin Ellie Müller (li.) und Klassenvorständin Sr. Teresa Reh bei der
    Lesung im Ursulinen-Gymnasium.
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An das „Café Schindler“ in Innsbruck erinnern sich viele, seine Geschichte kennen wenige. Nachfahrin Meriel Schindler war Schülerin der Ursulinen in Innsbruck und hat die Geschichte aufgeschrieben.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie nach Tirol zurückkommen?
Meriel Schindler:
Jetzt geht es mir sehr gut. Aber es hat eine Zeit gegeben, in der ich nicht zurück wollte. 2016 habe ich beschlossen, meinen Kindern Tirol zu zeigen. Ich zeigte ihnen das Haus in Trins, in dem wir lebten, und wir gingen durch die Maria-Theresien-Straße in Innsbruck – und entdeckten das wiedereröffnete Café Schindler. Eine riesige Überraschung und sehr gute Begegnung! Jetzt mache ich immer Station im Café, wenn ich in Tirol bin.

Damals, als 15jähriger Teenager in Tirol, wird es anders gewesen sein...
Schindler: Oh ja! Es war der totale Kulturschock. Ich kam von London nach Trins, ohne ein Wort Deutsch zu können. Den Tiroler Dialekt habe ich gar nicht verstanden.
Ich hatte oft fürchterliches Heimweh. Meine Familie lebte für sich, wir nahmen nicht am Dorfleben teil, hatten nur einen einzigen Freund in Trins.

Welche Erinnerungen haben Sie an die Schulzeit bei den Ursulinen?
Schindler:
Alle waren irrsinnig nett! Alle Lehrer, alle Schülerinnen. Ich war die einzige Ausländerin in der ganzen Schule! Damals war das sehr außergewöhnlich, alle waren neugierig und haben mir sehr geholfen, mich im Schulsystem zurechtzufinden. Nach einem Jahr sprach ich fließend Deutsch, nach drei Jahren habe ich mit Auszeichnung maturiert. Besonders gut erinnere ich mich an die Mathematiklehrerin Sr. Teresa. Mathematik in einer Fremdsprache war der Horror für mich! Sie hätte mir einen Fünfer geben müssen. Aber stattdessen hat sie mich im ersten Jahr einfach gar nicht benotet. So nett!

Haben Sie noch Kontakte von damals?
Schindler:
Ja, zum Beispiel zu meiner ehemaligen Turnlehrerin. Mit ihr und mit Schulfreundinnen treffe ich mich, wenn ich in Tirol bin – auf einen Kaffee oder zum Skifahren. Auch unter dem Jahr bleiben wir übers Smartphone in Kontakt.

Sie kehrten zurück nach London, wurden Anwältin und haben auf Anhieb einen Bestseller geschrieben. War Ihnen schon immer klar, dass Sie solches Talent zum Schreiben haben?
Schindler:
Mein Vater hat immer viel erzählt und es war schwer, herauszufinden, was davon stimmte. Sein Tod 2017 war zunächst eine große Lücke. Er hat mir viele Fotos hinterlassen, diese wollte ich mit kurzen Texten für meine Kinder zusammenstellen. Schnell wurde mir klar, dass viel mehr dahintersteckt. So nahm ich ein Sabbatjahr, studierte Akten, traf Menschen, reiste an die Orte, an denen meine Familie gelebt hat. Man muss die Geschichte gut verstehen, wenn man gut erzählen will. Was sich beim Schreiben daraus entwickelt hat, überraschte mich selbst. Ich bekam viel positives Feedback und entschied mich zur Veröffentlichung.

Sie haben sehr intensiv recherchiert und sich mit den dunkelsten Seiten der europäischen Geschichte auseinandergesetzt. Wie ist es Ihnen dabei gegangen?
Schindler:
Mein Vater war ein schwieriger Mensch, der mich oft beunruhigt und aufgeregt hat. Die Familiengeschichte mit hilfsbereiten Menschen, z.B. im Landesarchiv Innsbruck, aufzuarbeiten, war sehr wichtig und hilfreich für mich.

Ihr Großvater wäre bei der Pogromnacht 1939 in Innsbruck fast totgeprügelt worden.
Schindler:
Ja, das habe ich immer gewusst, mein Vater hat uns als Kindern oft davon erzählt – und dass er dabei war. Aus den Zeugenaussagen im Stadt- und Landesarchiv geht aber klar hervor, dass er nicht dabei war, uns also angelogen hat. Es ist möglich, dass er von den Verletzungen seines Vaters so schockiert war, dass er die Erzählungen für eigene Erinnerungen hielt. Das alles herauszufinden und aufzuschreiben, war eine Art Therapie.

Was gibt Ihnen Kraft fürs Leben?
Schindler:
Die Liebe meiner Familie, meine Freunde und meinen Mandant:innen zu helfen. Und dass ich in Österreich und England Wurzeln habe! Seit 2017 haben meine Kinder und ich auch österreichische Pässe, das erfüllt uns mit großem Stolz. Es ist wunderbar, hier ein Heimatgefühl zu haben!

Zur Person: 
Meriel Schindler wuchs in London auf, ehe ihre Familie nach Trins zog und sie das Gymnasium der Ursulinen in Innsbruck besuchte. Ihre Familie betrieb das legendäre „Café Schindler“ in der Maria-Theresien-Straße, bevor sie vor den Nationalsozialisten fliehen mussten. Nach der Matura ging Meriel nach London zurück, wo sie als Anwältin arbeitet. Sie ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.

Zum Weiterlesen: Meriel Schindler: Café Schindler. Berlin Verlag 2022, 480 Seiten, 26,95 €.

Meriel Schindler (Mitte) mit ihrer ehemaligen Turnlehrerin Ellie Müller (li.) und Klassenvorständin Sr. Teresa Reh bei der 
Lesung im Ursulinen-Gymnasium.  | Foto: Kaltenhauser
Meriel Schindler erzählt ihre Familiengeschichte in einem Roman. | Foto: Berlin Verlag
Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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