Wie Leila Aminpur in Tirol eine Heimat fand
Sanft und selbstbewusst

Mit der Eröffnung ihrer kleinen Änderungsschneiderei in Schwaz hat sich Leila Aminpur einen Traum erfüllt: endlich wieder ihrem Beruf nachgehen und selbst Geld verdienen.  | Foto: Kaltenhauser
  • Mit der Eröffnung ihrer kleinen Änderungsschneiderei in Schwaz hat sich Leila Aminpur einen Traum erfüllt: endlich wieder ihrem Beruf nachgehen und selbst Geld verdienen.
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Schon zwei Mal hat Leila Aminpur ihre Heimat zurückgelassen: erst Afghanistan, dann den Iran. Seit 2015 lebt sie mit ihrem Mann und den drei Söhnen in Tirol. Als Analphabetin ins Land gekommen, spricht sie inzwischen fließend Deutsch und hat sich mit der Eröffnung ihrer kleinen Änderungsschneiderei in Schwaz einen Traum erfüllt: endlich selbst Geld zu verdienen.

Ein Zimmer für sich allein – das war für die englische Schriftstellerin Virginia Woolf die Voraussetzung dafür, dass Frauen eigenständig leben und arbeiten können. In Leila Aminpurs Fall ist es kein Zimmer, sondern ihre kleine Änderungsschneiderei in Schwaz. Zum ersten Mal in ihrem Leben kann sie einen Raum ihr Eigen nennen. Raum, um ihrem gelernten Handwerk nachzugehen, um selbst Geld zu verdienen. Raum, um sie selbst zu sein.

Immer illegal. Aufgewachsen unter der Taliban-Herrschaft in Afghanistan, hat sie nie eine Schule besuchen können. Die Mutter brachte ihr das Nähen bei, auf dem Boden sitzend. Mit 17 Jahren heiratete sie und ging mit ihrem Mann in den Iran. Das erste Mal in ihrem Leben verlor sie ihre Heimat. „Wir Afghanen haben dort keine Rechte“, erzählt sie, „wir sind immer illegal.“ Weder sie noch ihr Mann durften offiziell arbeiten, nur unter der Hand. Die drei Söhne konnten nur gegen eine hohe Gebühr die Schule besuchen, Fußballspielen war für sie verboten. Nach Afghanistan zurückzugehen, war keine Option, zu schlimm waren die Zustände dort.

Alles zurückgelassen. 2015 beschloss die Familie, die Flucht nach Europa zu versuchen. Sie verkauften ihren ganzen Besitz und kamen auf gefährlichen Wegen über die Türkei in einem kleinen überfüllten Boot nach Griechenland. Leila und ihre Familie, sie sind jene Menschen, von denen so viele auf der Flucht ihr Leben verlieren. „Wir hatten nicht viel dabei, ein wenig Kleidung, eine kleine Decke, etwas zu essen“, erzählt Leila. „Aber man sagte uns, wir sollten auch das zurücklassen, wenn wir überleben wollten.“ Ohne jeglichen Besitz gelangten sie nach 20 Tagen Flucht – großteils zu Fuß – nach Österreich. „Ein Mann am Bahnhof hat uns ein Ticket bezahlt“, erinnert sie sich dankbar. „Alle waren immer freundlich zu uns. Österreich ist ein gutes Land.“ Zwei Mal im Leben die Heimat zu verlieren, hat Leila tief geprägt. Aber es hat sie nicht hart gemacht. In ihrem ausdrucksstarken Gesicht blitzt Lebenslust auf. Sie schaut nachdenklich, sanft – und selbstbewusst, wenn sie ihre Geschichte erzählt.

Datteln und Kaspressknödel. Über mehrere Stationen kam die Familie schließlich nach Vomp, wo sie zunächst in der Kaserne, dann in einem kleinen Zimmer und schließlich in einer Wohnung untergebracht wurden. Schnell begannen sie, Deutsch zu lernen. Für Leila als Analphabetin eine besondere Herausforderung. „Alle haben mir Mut gemacht. Ich solle mir Zeit lassen. So habe ich die schwierige Sprache gelernt“, sagt sie in fehlerfreiem Deutsch. Ihr nächstes Ziel ist es, den Führerschein zu machen. Und natürlich hofft die ganze Familie darauf, in ein paar Jahren österreichische Staatsbürger werden zu können. Leilas Familie hat gute Kontakte zu Tirolern – „das ist am wichtigsten“. Leila liebt es, typisch afghanische Süßigkeiten mit Datteln zuzubereiten, aber neuerdings zählen auch Kaspressknödel zu ihren Leibspeisen – gelernt hat sie es von ihrer Nachbarin, mit der sie eng befreundet ist.

Etwas tun, das ist das Beste.
Mit der Eröffnung der Änderungsschneiderei in der Schwazer Falkensteinstraße ist für Leila nach langer Suche ein Traum in Erfüllung gegangen. „Etwas tun, nicht daheim sitzen und nachdenken, das ist das Beste!“, sagt sie strahlend. „Es ist ein gutes Gefühl, selbst Geld zu verdienen. Ich mag es nicht, darauf zu warten, bis mir jemand hilft. Zwischen Stoff und Nähmaschine bin ich glücklich. Es erinnert mich auch an meine Mama.“ Leilas Mama ist vor drei Jahren in Afghanistan an Krebs gestorben. Leila konnte sie nicht mehr besuchen, weil sie noch keinen Reisepass hatte. „Die Mama zu verlieren, ohne sie noch einmal zu sehen, war schlimmer als die ganze Flucht.“ Ihre Stimme wird leise, die Augen füllen sich mit Tränen. Eine Flucht bedeutet so viel mehr, als die Heimat zurückzulassen.

Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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