Interview mit Tiroler AMS-Chefin
Mehr als Lohn und Brot

S. Platzer-Werlberger: „Wertschätzung macht Arbeitsplätze attraktiv“.  | Foto: Sabine Kelz
  • S. Platzer-Werlberger: „Wertschätzung macht Arbeitsplätze attraktiv“.
  • Foto: Sabine Kelz
  • hochgeladen von Lydia Kaltenhauser

Sabine Platzer-Werlberger wurde kürzlich zur Landesgeschäftsführerin des Arbeitsmarktservice (AMS) Tirol bestellt. Ein Gespräch zum Tag der Arbeit – Gedenktag des „Hl. Josef, des Arbeiters“.

Momentan stehen viele Betriebe vor der Herausforderung, dass sie kein Personal finden. Wie kommt es dazu?
Sabine Platzer-Werlberger: Hier kommt einiges zusammen. Am wichtigsten ist, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zurückgeht. Dazu kommt der Trend zur Reduktion der Arbeitszeit – Wünsche nach flexibleren Arbeitszeiten und Teilzeit, aber auch eine Reduktion der geleisteten Überstunden. Gleichzeitig ist der Bedarf an Personal erhöht, gerade in den Dienstleistungen. Dies führt dazu, dass in Tirol derzeit so viele Menschen wie noch nie arbeiten – und wir dennoch das Gefühl haben, es fehlt Personal an allen Ecken und Enden.

Viele Menschen arbeiten freiwillig Teilzeit, manche Betriebe haben die Vier-Tage-Woche für alle eingeführt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Platzer-Werlberger:
Ich sehe es nicht so tragisch, wie es oft formuliert wird. Die Teuerung unterbricht diesen Trend. Das Bild, das gezeichnet wird, trifft speziell auf Menschen zu, die sich Teilzeitmodelle gut leisten können, weil sie meist gut ausgebildet sind und in Jobs arbeiten, in denen flexibles Arbeiten möglich ist. Hier wird dieser Trend weitergehen – und das ist gut, denn die Lebensarbeitszeit wird länger. Dazu braucht es Gesundheit und Fitness – 50 Stunden-Wochen über viele Jahre hinweg sind dafür nicht unterstützend. Ein lebendiger Baum braucht starke Wurzeln, aber auch eine bewegliche Krone in den Stürmen der Zeit. In Tirol ist Teilzeit aktuell aber vor allem ein Frauen- und Verteilungsthema – hier geht es darum, dass Frauen unbezahlt arbeiten müssen.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für den Tiroler Arbeitsmarkt?
Platzer-Werlberger:
Die Betriebe müssen sich auf einen längerfristigen Arbeitskräftemangel einstellen. Dafür gibt es keine Patentlösungen. Wichtig ist, den Blick darauf zu richten, was die eigene Firma attraktiv macht – für Bewerber:innen und für jene, die bereits im Betrieb arbeiten. Manche Dinge kosten nicht viel, wie der wertschätzende Ton, der extrem wichtig ist. Aber man wird auch neu und innovativer organisieren und die Arbeitszeiten einteilen müssen.

Vor welchen Herausforderungen stehen Arbeitnehmer:innen?
Platzer-Werlberger: Für sie heißt es, die Herausforderungen des lebenslangen Lernens anzunehmen – Berufsanforderungen ändern sich, fast alle brauchen digitale, aber auch soziale Kompetenzen, eine gute Grund- und Weiterbildung, um stabil im Arbeitsleben zu bestehen. Die moderne Arbeitswelt ist anstrengend, dicht, Druck und Tempo sind hoch. Da ist es wichtig, sich zu fragen: Wie bleibe ich gesund, wie teile ich mir meine Lebenszeit gut ein?

Warum ist Arbeit so wichtig für uns Menschen?
Platzer-Werlberger:
Arbeit hängt in unserer Gesellschaft mit Identität, Status und Partizipation zusammen. Arbeit sichert zuallererst die Existenz, macht ein erfülltes Leben finanziell möglich – und im Idealfall ist sie Teil eines sinnerfüllten, glücklichen Lebens. Wir sehen in der Spirale der Arbeitslosigkeit, wie schnell sich Menschen unsicher, „nutzlos“ und traurig fühlen, wenn sie ihre Arbeit verlieren. Die meisten Menschen brauchen das Gefühl, gebraucht und gesehen zu werden und etwas beizutragen.

Was gibt Ihnen persönlich Kraft und Motivation für Ihre Arbeit?
Platzer-Werlberger:
Ich bin fasziniert davon, dass sich in meinem Job die großen gesellschaftlichen Themen widerspiegeln – das ist spannend. Dass ich ganz viel mit unterschiedlichen Menschen arbeiten und kommunizieren darf, liegt mir sehr und macht Spaß. Die Motivation ist, dass wir im AMS ganz konkrete Projekte und Angebote legen können, die den Wandel, der momentan geschieht, besser begehbar machen. Und ich weiß auch, dass ich Zeiten der Ruhe und Entspannung brauche – und die nehme ich mir natürlich. 

Zur Person: Mag. Sabine Platzer-Werlberger arbeitet seit über 30 Jahren als Fach- und Führungsfrau im AMS, seit kurzem als Landesgeschäftsführerin. Der Lehrerin sind die Bildung und Ermutigung von Frauen in der Arbeitswelt schon lange ein Anliegen.

Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ