Ein Gespräch über politisches Engagement und die Zukunft von Demokratie und Kirche.
Lothar Müller: Die Botschaft Jesu ist ein Superprogramm für die Welt
Nach bestem Wissen und Gewissen: ein Motto, auf das der Theologe und überzeugte Sozialdemokrat Lothar Müller oft zurückkommt. Seit seiner Studienzeit hat er sich im Spagat zwischen Kirche und Politik engagiert und dabei viele gesellschaftspolitische und kirchliche Umbrüche miterlebt.
Sie waren schon während Ihres Theologiestudiums für die SPÖ politisch aktiv. Auch heute ist das für viele noch ein Gegensatz. Wie hat sich das Verhältnis zwischen Kirche und SPÖ in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt? Wie sehen Sie es heute?
Lothar Müller: 1972 hat das Ganze einen riesigen Wirbel gemacht. Aber es war ganz undramatisch: ich war Assistent am Institut für Moraltheologie und Gesellschaftslehre bei den unvergessenen Professoren Hans Rotter und Julius Morel, beide Jesuiten. Dort habe ich auch meinen Freund und späteren Chef in der Klinikseelsorge, Andreas Krzyzan, kennengelernt. Einmal haben wir Assistenten über unsere Zukunft geredet. Meine war Erwachsenenbildung oder Journalismus und auch „politisch etwas tun“. Ich bin dann zu jener Partei gegangen, bei der der Gleichheitsgrundsatz am dichtesten im Programm war. Das hat selbst den zuständigen Bezirksparteisekretär sehr gewundert. Und dann haben wir über Bruno Kreisky, Herbert Salcher und Kardinal Franz König versucht, die irreale Situation zu entspannen – auch über die ACUS, die „Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus“, heute: „Sozialdemokratie“.
Die Ebenbildlichkeit jedes Menschen mit Gott ist ja die Grundlage des Gleichheitsgrundsatzes. Jetzt sehe ich die Situation entspannt. Ich bin dafür, dass sich die Christ/innen in der SPÖ, aber auch in allen anderen Parteien, kräftig rühren! Auch in der FPÖ. Beispiel: Liebe, Vergebung, Zuhören, Verantwortung, bestes Wissen und Gewissen. Ich will überhaupt keinen „religiösen Staat“! Das wäre fürchterlich und kollektiven Glauben hat Gott nicht notwendig. Aber solche Werte sollen in der Gesellschaft Platz finden und wirken.
Für die einen sind Sie ein Frommer, für die anderen ein Linker. Wie schätzen Sie sich selbst ein?
Müller: Ach Gott, ich bin weder besonders fromm noch dogmatisch links. Als Theologe, überhaupt als Seelsorger, musst du immer den Menschen sehen. Das ist unser Kennzeichen, das dürfen sich die Menschen von uns erwarten. Da habe ich schon eindrückliche Überraschungen erlebt, z.B. in der Klinikseelsorge mit einem alten Nationalsozialisten. Motto: „Schreib niemals jemanden ab!“
Sie waren Ihr ganzes Leben kirchlich und politisch aktiv. Wie hat sich Ihr Glaube auf die Politik ausgewirkt – und umgekehrt?
Müller: Kirchlich aktiv war ich, bis ich etwa 25 Jahre alt war, inklusive der Katholischen Hochschuljugend. Mit unendlichen Streitereien mit Bischof Paulus Rusch. Dann wurde ich politisch aktiv. Nach etwa 15 Jahren entdeckte ich den Wert der Kirche und ihrer Botschaft so richtig wieder. Gott hat mir dazu die notwendige Distanz und die Freundschaft mit Reinhold Stecher geschenkt. Ich engagierte mich im entwicklungspolitischen Beirat der Regierung, beim Widerstand gegen das Gentechnikgesetz, bei der Gründung des Hospizes, bei der Sozialarbeit. Jetzt beteilige ich mich beim Josefikreis der Arbeiterkammer Tirol, beim Schreiben von Fürbitten usw. Umgekehrt – von Politik zur Kirche: die Kirche ist bei Fragen der Organisation, der Koordination zwischen den vielen Vereinen und Verbänden oft naiv. Sie verschenkt Stärke gegenüber der Politik, vergräbt eigentlich Talente! Parteien haben immer mehr das Problem, Jugendliche für ihre Arbeit zu interessieren.
Was müsste anders laufen, um eine Trendwende herbeizuführen?
Müller: Parteien, Politiker/innen, mich eingeschlossen, denken immer noch: Was können wir für die Menschen, unsere Wähler/innen tun. So entsteht ein problematisches Versorgungsdenken. Wir müssen mit den Menschen arbeiten, sie auch herausfordern. Und den Geist wehen lassen. Freiraum für den Geist, der ist heilig! Dann braucht es faszinierende, plausible Projekte, bei denen Wirkung entsteht. Friedrich Dürrenmatt hat die Gefahr der Fadheit der Demokratie vorausgesehen. Es gibt mehr als genug Notwendigkeiten der Mitarbeit. Aber die muss unterstützt, positiv begleitet und neidlos anerkannt werden. Der Neid ist überhaupt das größte Luder, überall.Auch die Kirche kämpft mit einem negativen Image.
Wie ist ein Wandel möglich?
Müller: Ohne substanzielle Anerkennung der Gleichheit der Frauen gibt es keinen Imagewandel. Jedes Foto von einem Kardinalskollegium ist eine Zumutung! Für Frauen innerhalb und außerhalb der Kirche. Und wegen des Missbrauchswahnsinns: da gehören Frauen gleichberechtigt in alle Kurien. Aus mit uralten Männerbünden seit Seminarzeiten. Und dann: die Kirche muss konsequent vorleben, was sie predigt. Es ist „göttlich einfach“, wie Karl Rahner gesagt hat. Die Botschaft Jesu Christi ist ein Superprogramm für die Welt. Demokratie lebt davon, dass möglichst viele mitmachen. Die Bereitschaft, selbst aktiv zu werden, sinkt. Das zeigt sich auch bei Wahlen.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Müller: Nichts, überhaupt nichts Gutes. Wählen ist das Minimum am Mitwirken für eine Gesellschaft, der es bei uns ganz gut geht. Wählen sollte eine Verpflichtung sein.
Sie haben kürzlich das Buch „Tipps fürs Durchkommen“ veröffentlicht. Die soziale und wirtschaftliche Lage ist momentan angespannt wie lange nicht. Welche Tipps haben Sie?
Müller: Das Buch wurde von der Hypo Tirol-Bank ermöglicht. Herbert Waltl hat es durch Statements von Clowns erweitert, den gescheitesten Menschen überhaupt! Ich kann nur sagen: Seid bereit zum Teilen und fürchtet euch nicht davor! Wir müssen über den Tellerrand unserer Kompetenz und unserer Partikularinteressen schauen. Und auch an unsere Zukunft nach diesem Leben denken, nach bestem Wissen und Gewissen.
„Halte durch“ war auch ein Leitmotiv von Petrus Canisius, dessen 500. Geburtstag wir 2021 begehen. Was sagt Ihnen der Heilige? Was kann die Erinnerung an eine historische Persönlichkeit wie ihn für heute bedeuten?
Müller: Der von Christus begeisterte Petrus Canisius war sicher ein exzellenter katholischer Missionar. Dies in der Zeit der Gegenreformation, in der man in Österreich betete: „Vor Türken und Protestanten bewahre uns, o Herr. Und auch vor Hexen!“ Da hat der gute Petrus Canisius Vieles nicht durchschaut. Das muss und wird man beim Jubiläum des Diözesanheiligen sicher auch erwähnen. Motto: „Denn der Geist ist die Wahrheit“
(1 Joh 5, 1-9). Was wirklich erfreulich ist: die breite Einladung der Diözese zur Mitwirkung an diesem Gedenken. „Wir lernen Geschichte“, müsste ich jetzt mit Bruno Kreisky sagen. Zu „Halte durch“ nur ein Satz: Du kannst nur durch Durchhalten etwas ändern oder erreichen. Wo auch immer. Als Politiker musst du nicht überdurchschnittlich intelligent oder schön sein. Aber du musst hartnäckig sein. Dann gewinnst du für deinen Bereich. Dasselbe gilt auch in der Kirche. Und eines musst du auch immer wissen: wie viele hinter dir stehen. Das gilt auch für Stellungnahmen der Bischöfe. Was nützen noch so viele katholische Verbände und Einrichtungen, wenn sie keine Stellungnahmen zusammenbringen? Dann kann eine Bischofskonferenz noch so mutig sein. Auch da gilt, was ich für die Parteien gesagt habe: die Mitglieder sollen nicht nur zahlen, sondern sich auch kräftig einmischen. Sie werden ihren Lohn erhalten.
Zur Sache: Josefikreis: Lothar Müller ist Initiator und Koordinator des „Josefikreises“. Dieser versammelt seit zwölf Jahren fast 100 Tiroler Sozialeinrichtungen – darunter auch kirchliche wie die Caritas oder die
Tiroler Vinzenzgemeinschaften. Traditionell am Josefitag findet einmal jährlich eine Vollversammlung statt. Anliegen des Josefikreises ist die bestmögliche Kommunikation unter den Sozialeinrichtungen. Maßgeblich unterstützt wird der Josefikreis von der Arbeiterkammer.
Buch: Lothar Müller (Hrsg.). Tipps fürs Durchkommen. Sammelsurium. 151 Seiten. Eigenverlag. Zu beziehen unterlothar.mueller.83@gmail.com
Autor:Gilbert Rosenkranz aus Tirol | TIROLER Sonntag |
Kommentare