31. Sonntag im Jahreskreis | 5. November 2023
Meditation
In Frieden leben können
Ich stehe auf einer kleinen Waldlichtung, ein ruhiges Plätzchen zwischen hohen alten Bäumen. Über mir ein lauter werdendes Brummen – ein kleines Flugzeug fliegt über mich hinweg. Ich hebe kaum den Kopf. Es ist Sonntag. „Jemand genießt sein teures Hobby“, denke ich und spaziere weiter. Ich muss mich nicht fürchten, brauche keine Angst zu haben, denn ich lebe völlig zufällig und unverdient in einem Land, in dem seit Jahrzehnten kein Krieg mehr war. Ich habe keinen Krieg gesehen – zumindest nicht mit eigenen Augen. Denn der Krieg ist anderswo.
Militärdiktaturen, bewaffnete Rebellengruppen, Bürgerkriege – keinem kann man trauen, immer steht man für irgendwen auf der falschen Seite. Das kenne ich nur aus Filmen, aus den Nachrichten, den Medien. Dort, wo Krieg ist, will ich nicht sein und bin froh, nicht hin zu müssen ... Andere Menschen, die kennen den Frieden nur aus dem Fernsehen, aus den Medien, aus ihren Träumen ..., keiner will im Krieg leben, keiner kann im Krieg leben – aber so viele müssen. Und sie würden auch nach dem kleinsten Strohhalm greifen, um nicht im Krieg bleiben zu müssen ..., dem kleinsten Strohhalm, dem marodesten, überfülltesten Rettungsboot, der kleinsten Chance, um in Frieden leben zu können. Wie wir.
Diese Zeilen schrieb ich lange, bevor Russland in der Ukraine einmarschierte, nieder. Und noch länger, bevor Terror und Gewalt tausende Tote in Israel und Gaza forderten. Von anderen Krisenherden in entlegeneren Teilen der Welt ganz zu schweigen. Krieg scheint eine ansteckende Krankheit zu sein. Dabei müsste man meinen, dass die Menschheit schon genug Krieg erlebt hätte, um Antikörper dagegen gebildet zu haben und immun zu sein. Der Vergleich von Krieg mit einer Krankheit scheint zu hinken. Und doch: Wie oft wird Misstrauen oder gar Hass gegenüber „den anderen“ den Menschen „eingeimpft“. Manche Konflikte scheinen tief in die menschliche DNA eingeschrieben zu sein.
In der Steiermark aufgewachsen, lache ich über Kärntner- oder Burgenländerwitze und amüsante Aussagen über Unterschiede zwischen Ost- und Weststeirern. Wie es sein muss, wegen unterschiedlicher Hautfarbe oder Religion von Gewalt bedroht zu sein, liegt außerhalb meiner Erfahrung. Ich kann nur hoffen und beten, dass das so bleibt. Und mich aktiv für die gleiche Würde aller Menschen stark machen. Jedes Opfer von Gewalt ist eines zu viel. Und ich bin überzeugt: Um Empathie zu zeigen, muss man sich nicht auf eine Seite schlagen.
Katharina Grager
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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