31. Sonntag im Jahreskreis | 30. Oktober 2022
Meditation

Foto: Wimmer

Das Kleine wird weit

Drei Dinge sagt man, sind uns Menschen aus dem Paradies erhalten geblieben: die Blumen, die Sterne und die Augen der Liebenden.

Immer schon und immer neu üben die Sterne am nächtlichen Himmel eine große Faszination auf uns Menschen aus. Es ist einfach überwältigend, in der Nacht zum Himmel aufzuschauen und die Sterne zu betrachten. Da wird das Kleine weit und groß. Da gewinnt das Leben neue Dimensionen. Da verlieren vermeintliche Wichtigkeiten ihre übertriebene Wichtigkeit. Da gerät der Mensch ins schweigende Staunen und ahnt neu und tiefer, was es mit dem Weltall auf sich hat.

Dichter und Liebende haben seit jeher ihre besondere Nähe zu den Sternen durch die Worte ihrer Gedichte zum Ausdruck gebracht und verewigt. Als Sternstunden betiteln wir ja bekanntlich die Höhepunkte, die großartigen Momente unseres Lebens, die „highlights“, wie man sie heute vielfach nennt.

Mit dem Blick nach oben, dem Ausschau-Halten, der neuen Ausrichtung in all dem Leidigen, Lästigen und Beschwerlichen des Lebens bündeln sich die Kräfte, die ich brauche, um zu ertragen, was nicht zu ändern ist. Der Stern führt mich auf dem einsamen Weg durch die ausweglosen Wüsten des Lebens. Er zeigt mir die Richtung, auf die es ankommt. Er geht mir voran und geht mit.

„Binde deinen Karren an einen Stern …“ (Leonardo da Vinci)

Den Karren, der manchmal verfahren im Dreck steckt, den Schubkarren all dessen, was ich schon so lange vor mir herschiebe, was ich schon längst hätte erledigen sollen, aber nicht geschafft habe.

Den Karren, auf den ich all das geladen habe, was andere mir aufgebürdet haben oder ich mir habe aufladen lassen, die Sorgen und Hauskreuze, die manchmal so drückend und ungeheuer groß sind, obwohl man sie von außen nicht sieht.

Den Karren der Altlasten und all dessen, was ich mit mir herumschleppe, was mir noch nachgeht, weil ich es noch nicht abschließen und abgeben konnte.

Den Karren der unseligen und unzähligen Verletzungen und Nadelstiche, mit denen andere mir und ich ihnen weh getan habe, ohne dass es so gemeint und gewollt war.

Den Karren mit dem vielen Kleinkram, in dem ich manchmal unterzugehen drohe, weil ich den Überblick verliere oder zu wenig Freiraum schaffe für Großes und Schönes.

Paul Weismantel, in: „Lebensmantel Sonntag“, Echter Verlag 2005

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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