28. Sonntag im Jahreskreis | 9. Oktober 2022
Meditation

Ob mobil oder altehrwürdig: Kirchenräume begleiten die Geschichte der Menschen. | Foto: istock.com
  • Ob mobil oder altehrwürdig: Kirchenräume begleiten die Geschichte der Menschen.
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„Viel zu erzählen“

Ich komme aus einer Kultur, wo die Kirche einen besonderen Platz hat, noch. Weil die katholische Kirche in Rumänien viel jünger ist als in Österreich. Zum Beispiel wurde die Diözese (Graz-)Seckau im Jahr 1218 gegründet, die Diözese Iaşi im Jahre 1884. Fast 700 Jahre Unterschied! Dass die katholische Kirche in Rumänien noch jung ist, zeigen auch die Gottesdienstbesuche. Ein rumänischer Priester, der in Wien tätig ist, sagte mir einmal, dass in Bacǎu – einer rumänischen Stadt mit 170.000 Einwohnern – mehr Leute in die Kirche gehen als in ganz Wien. Das ist sehr beeindruckend, denn in Bacǎu sind nur 10 Prozent der Einwohner katholisch.

Meine Heimatpfarre ist im Jahre 1999 zur Pfarre geworden. Ich habe diese Zeit als Ministrant miterlebt. Wir haben keine Kirche gehabt, sondern wir haben uns in einem Haus getroffen, um Messe zu feiern. Das Haus war eine Schneiderei. Sonntags gab es fünf heilige Messen. Im Sommer haben wir im Garten gefeiert, weil im Haus nicht genug Platz war. Christmette auch im Garten. Wir Ministranten haben

bei der Christmette Wasser und Wein in den Händen gewärmt, damit sie nicht einfrieren. Fünf Jahre später haben wir mit dem Bau der Kirche begonnen. Zehn Jahre lang haben wir die heiligen Messen in einem zwei Meter hohen Keller gefeiert. Niemand hat sich beschwert. Jetzt hat meine Heimatpfarre eine Kirche. Aber es sind nicht mehr fünf Messen am Sonntag, sondern nur drei. Es gibt Beschwerden, weil es im Winter in der Kirche kalt ist. Im Jahr 1999 waren wir so arm, dass wir Gott brauchten. Jetzt können wir das wohlhabendere Leben in Rumänien bemerken, und ein wenig erleben wir, was Gott durch den Propheten Hosea sagt: „Doch als es euch immer besser ging, wurdet ihr satt und überheblich, und ihr vergaßt mich“ (Hosea 13,6).

Die Kirchen in Rumänien sind zu 80 Prozent nach der kommunistischen Zeit gebaut worden. Unsere Gebäude haben keine Geschichte. Anders in Österreich. Hier haben die Kirchen so viel zu erzählen! Als Kaplan war ich fasziniert, wenn ich die Messe in Trautmannsdorf gefeiert habe. Am Eingangstor steht: „Erbaut 1654“. Ich habe im Jahr 2010 Gottesdienste in einem Keller gefeiert. Und fünf Jahre später war ich in einer Kirche, die 1654 erbaut wurde! Man kann nur erahnen, was diese Kirchen in den Jahrhunderten an Tränen und Seufzern miterlebt haben. Man wird demütig und spürt, wie sehr man Teil einer Geschichte ist und auch einmal sein wird.

Marius Martinas,
Pfarrer von Arnfels, Seelsorgeraum Rebenland

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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