17. Sonntag im Jahreskreis | 24. Juli 2022
Meditation

Hoch über den Köpfen

Die Sonnenblumen im Garten meiner Nachbarin blühen schon. Und wie sie blühen. Hoch über den Köpfen aller Vorübergehenden. Denn sie sind wohl mindestens zweieinhalb Meter hoch gewachsen. Fest verwurzelt im lehmigen Boden mit großen haarigen Blättern und kräftigen Stämmen, neben denen mein Unterarm noch schmäler aussieht als sowieso schon. Die Wurzeln und Stämme sind dringend nötig, denn die Blumen stehen frei, ohne Zaun zum Anlehnen oder stützende Stangen. Sie tragen ihre gelb-umkränzten Köpfe aus eigener Kraft stolz in luftiger Höhe. Im Wind wiegen sie sich sachte.

Daneben hat meine Nachbarin ein paar Reihen Kürbisse, Zwiebeln und Kartoffeln gesetzt. Ein Garten, wie er früher üblich war. Mit den notwendigen und schmackhaften Pflanzen und Früchten, um später im Winter davon zu zehren. Regelmäßig geht sie mit einer kleinen Hacke an einem langen Stiel, die hier umgangssprachlich „Heindl“ genannt wird, durch die Pflanzreihen und „heindlt“. Sie entfernt das dazwischen wachsende Beikraut und lockert die Erde auf. Egal ob die Sonne vom Himmel brennt oder ein Regenguss herbeischaut. Die Hege ihrer Pflanzen wirkt von außen betrachtet wie ein heiliges Ritual, das getan werden muss.

So wie die Sonnenblumen im Garten meiner Nachbarin möchte ich auch sein. Fest verwurzelt und stark. Den Kopf erhoben und das Gesicht der Sonne zugewandt. Ohne Angst, von einem Windstoß umgeworfen zu werden, und nach dem Regen strahlender als zuvor. Die Sonnenblumen wachsen im Garten meiner Nachbarin als Zierde. Ab und zu schneidet sie eine ab, um ihr Haus oder die Kirche damit zu schmücken. Doch die restlichen bleiben stehen, bis sie abgeblüht und ihre Samen getrocknet sind. Vögeln und Kleintieren dienen sie als Nahrung. Einige Kerne fallen zur Erde. Dort warten sie dann auf den nächsten Frühling, um zu keimen und wieder große, stolze Blüten hervorzubringen.

Zwiebeln und Kartoffeln werden im dunklen, kühlen Keller eingelagert. Die Kürbisse wandern als Chutney in Gläser und in Stücke geschnitten oder geschabt in den Gefrierschrank, um dem Winter Farbe und Geschmack zu verleihen. Die Sonnenstrahlen des Sommers wurden in Form von Vitaminen und Nährstoffen konserviert. Wenn meine Seele hungrig ist, wo bekommt sie ihre Nährstoffe? Denke ich daran, meine Lager mit nahrhaftem Seelenfutter zu füllen? Und was können mir die Sonnenblumen für dunkle Stunden beibringen?

Katharina Grager

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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