Christentum - Ein Reiseführer | Etappe 041
Wundererzählungen
Wunderberichte
Über motiv- und traditionskritische Vergleiche fand man heraus, dass die Wunderberichte des Neuen Testaments sowohl von ihrer Textstruktur wie auch von ihrer Stilistik und Wortwahl her eine große Nähe zu älteren jüdischen oder heidnischen Wunderberichten aufweisen. Aufgrund dieser Übereinstimmungen vermutete man, dass die neutestamentlichen Autoren diese früheren Berichte gekannt und auf sie zurückgegriffen hatten. Damit erschienen die neutestamentlichen Berichte als Nachbildungen dieser älteren Texte.
Angesichts der offensichtlichen Anleihen, die neutestamentliche Wunderberichte bei älteren Texten machten, schien auch die Frage nach ihrer historischen Verlässlichkeit beantwortet zu sein. Unter der Annahme, die neutestamentlichen Wunderberichte seien lediglich Nachbildungen älterer heidnischer beziehungsweise jüdischer Texte, legte sich der Schluss nahe, die Berichte über die Wunder Jesu seien rein fiktive Texte, für die es im Leben Jesu keinen Anhaltspunkt gab. Vor diesem Hintergrund nahm man weiter an, dass diese Texte ursprünglich nicht zur Jesusüberlieferung gehörten, sondern erst nachträglich mit dieser verbunden wurden. Das Entstehen der neutestamentlichen Wunderberichte erklärte man mit dem Repräsentationsbedürfnis der frühchristlichen Gemeinden, die sich gedrängt sahen, das Wirken Jesu durch Wunder zu illustrieren, um die Bedeutung des Meisters zu steigern.
Literarische Beobachtungen
Diese auf den ersten Blick überzeugend anmutende Argumentation wurde von der jüngeren Forschung grundlegend demontiert. Diese machte darauf aufmerksam, dass der älteren Argumentation ein fundamentaler Trugschluss zugrunde liegt. Er besteht darin, dass man die Bedeutung der literarischen Parallelen überschätzt und daraus nicht nur literarische, sondern auch historische Schlüsse zieht. Aus den literarischen Befunden kann man nämlich wohl Rückschlüsse über die Textgeschichte, nicht unbedingt aber Rückschlüsse über das geschichtliche Ereignis ziehen, von dem der Text berichtet.
Dies liegt daran, dass ein Ereignis selbst immer etwas anderes ist als der Bericht über dieses Ereignis.
Dazu ein Beispiel: Wäre es möglich, aus den literarischen Parallelen, die zwischen verschiedenen Wunderberichten bestehen, auf die Historizität eines wundersamen Ereignisses zurückzuschließen, so müsste es auch möglich sein, ähnliche Schlüsse etwa aus der weitgehenden Übereinstimmung zu ziehen, die zwischen verschiedenen Unfallberichten bestehen. Es liegt auf der Hand, dass ein Vergleich von 100 Berichten, die Auffahrunfälle von Pkw erfassen, zahlreiche Parallelen in Aufbau und Wortwahl zutage fördert. Aus diesen Parallelen in den Berichten kann jedoch nicht geschlossen werden, der größte Teil der Unfälle habe sich womöglich gar nicht ereignet. Wie für den Bericht über einen Auffahrunfall, so gibt es auch für die Erzählung einer wundersamen Heilung feststehende Strukturelemente, auf die kein Autor ohne weiteres verzichten kann
Insgesamt überliefern die vier Evangelien 41 Wunder Jesu.
Regina Radlbeck-Ossmann
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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