Christentum - Ein Reiseführer | Etappe 072
Wozu Ethik?

Eine Fülle an Handlungsmöglichkeiten stellt uns heute vor neue Herausforderungen. | Foto: Fotolia
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Vom richtigen Verhalten

Die technischen, wissenschaftlichen und sozialen Errungenschaften der letzten einhundert Jahre haben dem Menschen heute, am Beginn des 3. Jahrtausends, ungeahnte Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Jede Möglichkeit stellt uns aber vor Fragen, die sich so noch zu keiner anderen Zeit der Menschheitsgeschichte in vergleichbarer Brisanz und Komplexität gestellt haben und Antworten fordern in Form verantworteter Entscheidungen. Was ist am Ende des Lebens, wenn ein todgeweihter Patient um Erlösung von seinen Schmerzen bittet? Was mit der Forschung an befruchteten Eizellen, wenn Wissenschaftler mit ihrer Hilfe kranken Menschen Lebenszeit schenken können? Was mit genmanipulierten Pflanzen, wenn damit die Ernährungssituation der Weltbevölkerung verbessert werden kann?

Es sind Einzelfragen von enormer Dichte, weil sie stets Probleme verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und gesellschaftlicher Handlungsfelder tangieren und zugleich aufzeigen, wie stark diese miteinander verwoben sind: So berührt die Frage der Sterbehilfe beispielsweise gleichermaßen Medizin und Biologie, Kirche und Politik. Es verwundert nicht, dass viele Menschen unsicher geworden sind, wie sie derartige Fragen beantworten sollen, mit denen sie sich in einer sich beschleunigenden Moderne konfrontiert sehen.

Gleichzeitig gilt es zu bedenken: Der Mensch ist nicht ein instinktgesteuertes Wesen, sondern ein Individuum, das sich im Rahmen sinngebender reflektierter Entscheidungen nicht bloß verhält, sondern selbstbestimmt handelt. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: Ethik, als die Lehre vom sittlichen, guten Handeln, tritt nicht einfach als fertiges Konstrukt naturgemäß in Erscheinung, sondern muss menschheitsgeschichtlich erworben und errungen werden, weil der Mensch, die Krone der Schöpfung, ein Mängelwesen unter anderen ist, immer bestrebt, sich in einem Sinnganzen von Welt zu begreifen. Dort, wo der Mensch diese Perspektive verloren und dieses Streben aufgegeben hat, ist er auf sich selbst zurückgeworfen, vergleichbar mit einem Raubtier, das den ihm angewiesenen Kosmos, die Welt, nicht als Aufgabe zur Gestaltung, sondern als Gegenstand seiner Ausbeutung betrachtet.

Für den Christen ist es grundlegend, die Glaubensaussagen der Heiligen Schrift als wahr vorauszusetzen bzw. als nicht hinterfragbare Basisnorm zu akzeptieren. Diese Glaubenswahrheiten, in denen Gott sich – angefangen bei Abraham bis hin zu Christus – offenbart hat, stellen das Fundament des christlichen Glaubens dar, auf dem auch eine christliche Ethik gründet.

Die Letztbegründung ethischer Prinzipien in der biblischen Überlieferung zu finden greift tiefer, als sich angesprochen zu fühlen von interessanten oder erbaulichen Geschichten aus der Vergangenheit, die etwa auch durch andere, spannendere ersetzt werden könnten. Durch die biblischen Überlieferungen wird den gläubigen Christen eine neue Geschichte zugeordnet. Sie werden aus ihrer gewöhnlichen, natürlichen, familiären, nationalen, biographischen Geschichte herausgenommen und eingefügt in die Geschichte Israels. Die biblischen Vorgaben und die Tradition der Kirche in die Gegenwart hinein weiterzuschreiben ist Aufgabe der Moraltheologie bzw. der theologischen Ethik. (Beide Begriffe werden hier gleichbedeutend verwendet.) Dabei muss sie sich auch den tagespolitisch aktuellen Fragen stellen und begründete Handlungsanweisungen geben.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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