SONNTAG. Der Tag zum Leben | Teil 13
Wohnen in sich selbst

Hildegard von Bingen, Der Kosmosmensch. An seiner Brust trägt Gottvater das gewaltige Schöpfungsrad, das von der feurigen Gestalt der „Liebe“ gehalten und umarmt wird. Mitten in diesem Weltenrad erscheint der Mensch, die kleine Erde überragend.  | Foto: Archiv
  • Hildegard von Bingen, Der Kosmosmensch. An seiner Brust trägt Gottvater das gewaltige Schöpfungsrad, das von der feurigen Gestalt der „Liebe“ gehalten und umarmt wird. Mitten in diesem Weltenrad erscheint der Mensch, die kleine Erde überragend.
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In einer Zeit, in der die Menschen ähnlich unruhig waren wie heute, berichtet Gregor der Große über den heiligen Benedikt, dass dieser nach einer persönlichen Krise sich selbst wieder fand, indem er innerlich zur Ruhe kam:

„Allein, unter den Augen Gottes, der aus der Höhe niederschaut, wohnte er in sich selbst, …weil er stets wachsam auf sich achtete, sich immer unter den Augen des Schöpfers sah, sich allezeit prüfte und das Auge des Geistes nicht außerhalb seiner selbst umherschweifen ließ“ (Dialoge II, 3. Kap.).

Hier, in der geistlichen Tradition des In-sich-Wohnens, haben wir eine Möglichkeit, die Sonntagsruhe neu zu füllen, wissend um die Spannung, ein gehetzter Mensch zu sein, der sich nach Gottes Ruhe sehnt. Uns wird heute eine Lebensweise aufgezwungen, die wir gar nicht haben wollen. Die Kräfte werden überfordert, wenn wir unter Zwang Erfolg haben müssen. Beziehungen wollen unter Zeitdruck nicht mehr recht gelingen; wir werden ängstlich anderen gegenüber, verwirrt darüber, ob eine Beziehung noch trägt, engstirnig und von Argwohn heimgesucht. Der natürliche Rhythmus des Lebens kann durch die andauernde Hektik empfindlich gestört werden.

Die Tage werden gleichförmig. Der Sonntag verblasst. Wir verlieren die innere Ruhe und wenden unser inneres Auge schließlich von Gott ab. Das Ergebnis dieser Ruhelosigkeit ist, so Gregor der Große, dass wir vor uns selbst fliehen und die innere Gelassenheit des Glaubens verlieren. Wir sind zwar noch wir selbst, aber nicht mehr in uns selbst. So wird die Aufforderung, in uns selbst zu wohnen, zu einer Chance persönlichen Reifens. Ich kehre zu meiner inneren Wohnung zurück, wenn ich mich auf den Boden der Tatsachen stelle, mich mit der Wahrheit beschleunigten und gehetzten Lebens konfrontiere. Die innere Einkehr in mein Lebenshaus (und darin zu Gott) zeigt sich zuerst in der Fähigkeit, mich selbst meiner inneren Unruhe zu stellen. Ich halte inne, wage den Dialog mit meiner inneren Hast. Ich suche das innere Gleichgewicht, das mir Haltung gibt, und nehme Verantwortung für mich wahr. Diese aufregende Reise zu mir selbst ist so stets auch ein Prozess der Selbstdisziplin und der Umkehr, tätige Gelassenheit gegen alltägliche Hetze einzuüben, gerade in der Ruhe des Sonntags.

 

Wie Sonntagsruhe konkret aussieht

  • Da lerne ich, wachsam auf mich zu achten und mich zu prüfen. Ich werde mir bewusst, wo ich mich von der Unruhe her definiere, und erkenne die Ursache meiner eigenen Hast. Ich prüfe mich, wo ich meine Kräfte überfordere, und entlarve die Diebe, die mir in der Unruhe des Alltags das Geschenk erfüllten Lebens rauben. Doch dazu muss ich mich üben und vom falschen Tun ablassen, das mich in die Unruhe treibt. So übe ich die Gabe der Unterscheidung, die immer auch zugleich würdigt, wo mir das Gute gelingt, wo ich dem Sonntag bereits Ehre und Würde zukommen lasse.
  • Da lerne ich, mich unter die Augen des Schöpfers zu stellen und feiere die Sabbatruhe Gottes. Ich nehme mein Leben aus der Perspektive Gottes heraus wahr. Es gibt etwas Größeres als mich. Wer sich so unter den Schutz des Höchsten stellt und im Schatten des Allmächtigen ruhen lernt (vgl. Psalm 90), horcht auf, der öffnet das Ohr seines Herzens für das größere Geheimnis des Lebens, das wir Gott nennen dürfen, und merkt, dass es mehr gibt als die Unruhe und Geschäftigkeit des Alltags.
  • Da lerne ich, das Auge des Geistes bei mir ruhen zu lassen, und bleibe bei mir selbst. Ich halte inne und suche das Gespräch mit mir, mit meiner Seele.

Die Einkehr in das eigene Lebenshaus ist nur sinnvoll, wenn ich Verantwortung übernehme für meine Lebensgestaltung, Verantwortung dafür, dass mich die innere Unruhe nicht bis in den Sonntag hinein überwältigt. Ich nehme mir Zeiten der Stille und übe ordnende Rituale ein: das betende Schweigen, gemeinsames Essen, ein Gespräch am Abend über das, was in der Woche gut war.

 

Unterscheiden, Hören mit dem Herzensohr und tätiges In-mir-selbst-Bleiben können Haltungen sein, Sonntagsruhe heute konkret zu leben. Ich halte inne. Das ist mehr als Ausruhen vom Stress.

Die Seele kommt zur Ruhe, und die Schöpfungsruhe Gottes kann sich geheimnishaft in ihr niederlassen. Gegen die Hetze des Alltags nehmen wir innehaltend das Lebensinnere wahr und nutzen die geschenkte Zeit, leben ruhend und schöpferisch zugleich.


Peter
Abel

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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