Abenteuer Gottesglaube | Teil 06
Wie der Glaube ein Gesicht bekommt
Unter den wunderbaren Volontärinnen bei uns in Hosman ist Lucia aus dem Mostviertel. Sie wollte nach der Matura ein Jahr etwas ganz anderes machen.[/p]
Menschen helfen. Sie ist erst 19 und arbeitet hart. Das hat sie zu Hause auf dem Bauernhof und in der großen Familie gelernt. Ich höre ihr gerne zu, wenn sie von ihren Familien erzählt. Das sind Roma, die sie täglich besucht. Ich empfehle ihr, ein Tagebuch zu schreiben, doch das tut sie längst. Ich würde gerne einmal hineinschauen, aber ich stoße auf eine Mauer. „Das liest niemand, nicht einmal mein Freund“, sagt Lucia bestimmt. Weil ich von der Neugier nicht ablasse, erreichen wir einen Kompromiss. Am Abend nach der Messe wird sie mir erzählen, was sie an dem Tag erlebt hat.
Ein Tag im Leben von Lucia. „Es war ein ziemlich anstrengender Tag. Begonnen hat es wie immer mit dem Morgengebet in der Kapelle, dann das Frühstück und die Tagesplanung. Die Arbeiten werden verteilt.“
Für die Kinder gibt es das Sportprogramm und Volkstanz, Musikstunden, Aufgabenbetreuung und die Alphabetisierung, die Lucia besondere Freude macht. Gemeinsam mit Angela aus Linz, sie ist auch 19, hat sie begonnen. „Wir schneiden Buchstaben aus, die die Jugendlichen, die weder lesen noch schreiben können, zu Worten zusammenfügen. Die 14-jährige Cristina passt mit der Schere besonders auf, dass sie in keinen Buchstaben hineinschneidet. Heute hat sie ihren Namen lesen und schreiben gelernt. Vor Freude hat sie ihn 23-mal geschrieben. Ich glaube, da ist eine Knospe aufgesprungen.“
Cristina hat es schwer. Sie war nie in der Schule, weil sie für ihre kleinen Geschwister, es sind sieben, sorgen muss. Der Vater ist mit den Schafen unterwegs. Die Mutter ist meistens fort und bringt dann eine Tasche mit Essen heim. „Cristina ist für mich eine Freundin geworden. Ich bewundere sie, wie sie das Chaos mit den Kleinen aushält“, schwärmt Lucia. „Wir haben auch ein Waschprogramm im Sozialzentrum für die Kinder aus dem Dorf. Niemand hat fließendes Wasser oder eine Dusche. Heute waren sechs Kinder von der Familie Savu dran. Aus den Kleidern springen einem die Flöhe und Läuse entgegen, viele. Mich hat es gegraust. Ich glaube, wir haben ein Kilo Finger- und Zehennägel geschnitten. Es war ein Berg. Wenn die Kinder dann gut riechen, ist es schön, sie zu umarmen. Meine Haare tränke ich dann mit Essig. Das riecht, aber ich werde die Läuse los.“
Am Mittag kam Lucia mit vielen Fragen zu Ruth. Sie ist die Mutter für alle. „Was machen wir mit den Kindern, die gestohlen haben? Dürfen sie auch zur Messe kommen? Sie sind eifersüchtig, weil Babanuza kommen darf. Die Familie Sandor will ihr Haus vergrößern, über zehn Leute sind in einem Zimmer. Können wir ihnen Ziegel geben? Dürfen wir Läuseshampoo kaufen? Wo bekommen wir es? Immer mehr Kinder möchten beim Deutschunterricht mitmachen. Wie viele kann Irina nehmen?“ Es ist wichtig, dass die jungen Leute jemanden haben, mit dem sie über alles reden können.
Die Kapelle gibt Kraft. Lucia war schon auf dem Weg zur Abendmesse, da kamen ihr zwei Buben, Nicu und Petru, entgegen, die gestern beim Klauen erwischt wurden. Das machte sie sehr traurig. „Die sind sehr gescheit und gehören zu uns. Sie kommen jeden Tag ins Sozialzentrum.“
Dann war die Messe, an der unsere Gemeinschaft, ein paar Kinder und Nachbarn teilnehmen. Lucia ist auf den Geschmack gekommen. „Die Kapelle gibt Kraft, vor allem die Musik bei uns ist schön und bringt Schwung in die Messe. Ich spiele gerne auf der Querflöte. Mein Gebet. Heute kam auch eine Fürbitte aus meinem Herzen für die Familien mit vielen Kindern in kleinsten Häusern.“
Arm und großzügig. Noch ein schönes Erlebnis hatte Lucia. „Auf der Straße fragten mich Kinder, ob ich ein Handy habe. Ich sagte nein, weil es hier zu teuer ist. Dann gab mir Catalin, er ist 13, sein Handy. Er wollte, dass ich meine Mama anrufe. Nach Österreich zu telefonieren ist viel zu teuer, sagte ich. Er bestand darauf, und ich sprach mit meiner Mama. Mit dem nächsten Transport will sie mir ein Paket schicken. Ich war sehr glücklich.“ Obwohl die Leute hier sehr wenig besitzen, sind sie unglaublich großzügig.
Von den Eltern habe ich alles. Seit Lucia von daheim so weit weg ist, ist sie ihren Eltern innerlich besonders nahe. „Von meinen Eltern habe ich alles im Leben bekommen. Sie hängen an der Kirche, obwohl sie Schweres erlebt haben. Mein Vater wurde geschieden, für einen Bauernsohn war das ein Skandal. Der erste Mann meiner Mutter ist tödlich verunglückt. Alle zusammen sind wir sieben Kinder. Das Schwere hat meine Eltern noch mehr zum Glauben gebracht. Wenn wir nicht in die Kirche gehen wollen, nehmen sie das hin, mit Schweigen.“
Lucia hat seit drei Jahren einen Freund, und doch ist sie für ein Jahr weggegangen. „Das Wichtigste für mich ist, dass wir uns treu bleiben und einer den anderen unterstützt.“ Auch ihre Eltern haben ihn sehr gern. „Er darf bei uns übernachten. Der kirchlichen Lehre entspricht es sicher nicht. Aber ich bin der Meinung, man sollte mit einem Freund, mit dem man es ernst meint, auch in einem Bett schlafen, nicht erst in der Hochzeitsnacht. Aber ich glaub, da muss man sich nicht sorgen, das machen eh die meisten. Auch wenn die Kirche sagt: Kein Sex vor der Ehe.“
Und was sagen die Eltern dazu? „Die sagen nicht viel, weil es meine Beziehung ist und nicht ihre. Sie respektieren es. Sie schweigen dazu. Ja, ich bin froh darüber.“
Glaube hilft zu Mitgefühl. Was bedeutet für Lucia die Religion? „Der Glaube ist ein Schutz, dass man bei uns in der modernen Welt sich nicht einbildet, alles tun zu können, was man will, ohne auf den anderen zu achten.
Der Glaube hilft, dass wir das Mitgefühl für andere nicht verlieren. Irgendwie bekomme ich die Kraft, für die Menschen da zu sein, für die Gemeinschaft, mir die Sorgen der Leute anzuhören und sie zu beraten. Ich glaube, dass es etwas Höheres oder Stärkeres über uns gibt. Sicher gibt der Glaube Kraft. Das spüre ich vor allem jetzt, wo es so viel zu tun gibt. Wir kommen an kein Ende der Not. Ich habe auch Freunde, die viel helfen und nicht an Gott glauben. Sie haben ein Herz für die Menschen, das ist entscheidend. Gott hilft schon, man merkt es vielleicht nicht. Wir feiern im Haus die Messe, und meine Eltern sind sehr gläubig. So spüre ich doch, dass uns jemand hilft.“
Am Schluss des Gesprächs wünsche ich Lucia, dass dieses Jahr in unserer Gemeinschaft der Glaube für sie ein Gesicht bekommt.
P. Georg Sporschill
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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