Lebensspuren - Fastenserie 2018 | Teil 02
Weg in die Freiheit

Gott füllt den Krug. | Foto: KIZ/MF

Seit einigen Jahren arbeite ich als Seelsorger im Gefängnis von Leipzig. Dort ist mir deutlich geworden, dass viele der Inhaftierten schon vorher gefangen waren: im Kreislauf der Drogen, in einer kriminellen Vereinigung, in zwanghaften Mechanismen der Gewalt.

Manche erleben die Inhaftierung als Befreiung: Jetzt bin ich endlich raus aus der Spirale von Droge und Beschaffungskriminalität, die mich immer mehr kaputtgemacht hat. Doch ein solcher Prozess bringt auch die Mühe des Entzuges und der Distanzierung vom früheren Umfeld mit sich. Es ist eine Art von „Fastenkur“.

Auch unsere christliche Fastenzeit kann mit einem Weg in eine größere Freiheit verglichen werden. Die 40 Tage der österlichen Bußzeit erinnern an die 40 Tage, die Jesus in der Wüste verbracht hat. Und diese wiederum beziehen sich auf die 40 Jahre, in denen das Volk Israel unterwegs war, um aus der Sklaverei Ägyptens in das von Gott versprochene Land zu ziehen.

Satt, aber unfrei

Die Bibel erzählt: Das Volk Israel wird in Ägypten zur Fronarbeit gezwungen. Den Unterdrückten wird ein fester Platz zugewiesen, was ihnen zumindest eine gewisse Sicherheit bietet: Der Sklave weiß, was er zu tun hat – und wird für seinen Arbeitsdienst mit festen Essensrationen entlohnt. So wird das Volk Israel an den Töpfen Ägyptens zwar satt, dafür jedoch seiner Freiheit beraubt.

Die Erinnerung an den Gott seiner Vorfahren weckt den Wunsch nach Freiheit. Denn dieser Gott hat Abraham, Isaak und Jakob aus Liebe erwählt und mit ihnen einen Bund der Freundschaft geschlossen. Eine solche Beziehung setzt die Freiheit beider Partner voraus. Eine erzwungene oder manipulierte Liebe ist keine Liebe. Man kann niemanden zur Freundschaft erpressen. Vielmehr gilt: Liebe wünscht sich Gegenliebe und folglich immer auch Freiheit.

Ausbruch aus der Sklaverei

Im Vertrauen auf Gott wagt das Volk ­Israel den Ausbruch aus der Sklaverei und die Flucht durch die Wüste. Diese Zeit der Ödnis erleben die Israeliten als eine Art von Entziehungskur aus den alten Gewohnheiten und Süchten. Die Wüste wird zur Schule der Freiheit, weil sie keine sofortige Befriedigung der Bedürfnisse bereithält. In der Wüste steht nicht an jeder Düne eine Pommes-Bude und schon gar kein Getränkeautomat.

Wer längere Zeit in einer Abhängigkeit gelebt hat, braucht zunächst einmal Ab-
stinenz. Er muss die alten Strukturen und Mechanismen hinter sich lassen und das soziale Umfeld verändern. Gott will den Menschen dazu „erziehen“ (Dtn 8,5), ein freier Bündnispartner zu werden, der liebesfähig ist. Das lateinische Wort für erziehen (e ducare) bedeutet: herausführen, in die Weite führen. Israel soll lernen, sich nicht mehr gehen zu lassen, sondern selber zu gehen. Der lange Marsch durch die Wüste ist unabdingbar, um sich von falschen Abhängigkeiten zu lösen. Gott will den Menschen in eine solche Freiheit führen, damit er mit ihm eine freundschaftliche Beziehung leben kann.

Die Versuchung

Der Weg in die größere Freiheit bleibt freilich immer gefährdet und droht im Sand zu verlaufen. Es gibt die Versuchung der Regression: Als die Israeliten in der Wüste hungrig werden, kommt es zur Meuterei. Man will nach Ägypten zurück, um sich an den Fleischtöpfen des Pharao den Bauch vollschlagen zu können: Wenn auch unfrei – Hauptsache satt! Erst kommt das Fressen, dann die Moral (Bertold Brecht).

Freiheit aber bedeutet, um moralischer Werte und Ziele willen auch mit knurrendem Magen, wenigstens ein Stück, weitergehen zu können. Allein eine gewisse Distanz zu den Bedürfnissen und Trieben eröffnet der Freiheit einen Spielraum. Wenn in einer Gesellschaft kein Konsum-Verzicht mehr eingeübt wird, droht die Freiheit des Menschen ein Opfer von Werbung und Manipulation zu werden.

Manna – Zeichen der Fürsorge Gottes

In der Wüste lernt das Volk Israel, dass alle wirklich wichtigen Dinge im Leben Geschenk sind, das wir nicht selber machen können. Das Manna etwa, das man unverhofft findet, ist ein Zeichen der göttlichen Fürsorge. Allerdings kann man dieses Brot nicht auf Vorrat sammeln. Die Bibel erzählt, dass einige Israeliten vom Manna mehr einsammeln, als notwendig ist. Aber dieses Brot wird wurmig und stinkt (vgl. Ex 16,20).

Der Wunsch, möglichst viel zu bunkern, ist ein Zeichen für fehlendes Vertrauen. Liebe lässt sich nicht einwecken oder aufsparen. Wer jedoch darauf vertrauen kann, dass Gott seine Liebe jeden Tag neu schenkt, wird freier von der Angst vor morgen und übermorgen.So will auch der Weg durch die österliche Bußzeit in eine größere Freiheit führen.

Die zentrale Lesung der Osternacht erzählt vom Exodus, vom Auszug aus Ägypten. Und wer sich in diesen 40 Tagen von Abhängigkeiten, von versklavenden Sorgen oder aus unguten Bindungen lösen kann, befindet sich auf dem Weg, um an Ostern das von Gott geschenkte neue Leben zu feiern.

Freiheit bedeutet, um moralische Werte und Ziele willen auch mit knurrendem Magen, wenigstens ein Stück, weitergehen zu können.

Andreas Knapp

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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