Fasten2021 | Teil 03
Was Schuldgefühle anrichten können

Unbearbeitete Schuldgefühle können viel kaputt machen. | Foto: Slouk

Schuldgefühle sind nützlich für das Zusammenleben, solange sie Selbstverantwortung fördern und zu Konfliktlösungen beitragen. Auf Dauer sind sie aber psychisch und physisch extrem belastend. Deshalb sind der konstruktive Umgang damit und die Befreiung davon so wichtig.

Wenn der normal empfindende Mensch durch Fehlverhalten, Übertretungen, Pflichtverletzungen, Fahrlässigkeit, Moralverstöße oder Versündigung Schuld auf sich geladen hat, entstehen in ihm Schuldgefühle. Diese sind zwar für jegliche Selbstverantwortung, für alle Konfliktlösungen und unser Leben in der Gemeinschaft sehr wichtig, gehören aber zu den quälendsten und am schwersten zu ertragenden Emotionen. Ähnlich wie Angst und Scham sind sie mit Freudlosigkeit und Hemmungen, Zweifel an sich selbst und zwanghafter Grübelei, mit Schlafstörungen und körperlichen Beschwerden verbunden. Schuldgefühle, die auch unbewusst sein können, bedrücken uns und liegen wie ein Schatten auf dem Gemüt. Sie nagen an Motivation und Zuversicht und verschlechtern, wie man dies heute gerne ausdrückt, unsere gesamte Lebensqualität.

Schuldgefühle zermürben. Niemand will mit Schuldgefühlen, die in der menschlichen Entwicklung zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr erstmals erworben werden, leben. Kein Individuum und keine Gruppe kann sie auf Dauer ertragen. Wie soll man aber damit umgehen? Manche versuchen sie abzutöten und zu verdrängen, nicht daran zu denken und ja nicht darüber zu sprechen. Die Stimme des Gewissens lässt sich aber nicht unterdrücken, und Verschweigen bedeutet nur, in einem Dampfkessel durch noch stärkeren Verschluss den Druck zu erhöhen. Dies erzeugt einen Stau von innerlich zermürbender Energie und kann zu Burnout, Resignation und Verbitterung führen.

Schuldgefühle, die auch unbewusst sein können, bedrücken uns und liegen wie ein Schatten auf dem Gemüt.
Reinhard Haller

Körperliche Folgen. Andere Menschen verarbeiten Schuldgefühle psychosomatisch, das heißt, psychische Missbefindlichkeiten werden in körperlichen Störungen ausgedrückt: In Magenbeschwerden, weil man den Ärger über sich selbst hinunterschlucken will. In Druck auf der Brust, weil sich die Schuld am Organ der Existenz, dem Herzen, festmacht. In Ausschlägen, weil man sich mit der Schuld nicht mehr wohl in seiner Haut fühlt, und mit Kopfschmerzen, da man das Gehirn auf der Suche nach Lösungen gleichsam zermartert. Wieder andere versuchen die Schuldgefühle mit Alkohol oder Drogen zu mildern, was nur vordergründig gelingt. Denn man bezahlt die kurzfristige Scheinbefreiung von Schuld mit der lange anhaltenden Unfreiheit der Sucht.

Überbetonung von Schuld. Wir alle reagieren auf Schuldvorwürfe neurotisch, also mit Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstwertzweifeln, häufig mit Nervosität und Reizbarkeit, fast immer mit Ängstlichkeit. Denn nach tiefenpsychologischer Vorstellung treten Schuldgefühle ebenso wie Ängste immer dann auf, wenn es zu Konflikten zwischen dem „Über-Ich“, also dem Gewissen, und dem „Es“, also der Triebhaftigkeit, kommt. In einer vergangenen Zeit, in der der schuldbefreiende Aspekt der Frohen Botschaft noch nicht im Vordergrund stand, wurde sogar von einer „ekklesiogenen Neurose“ gesprochen. Man meinte damit die Gefahr, dass bei den Gläubigen neurotische Symptome ausgelöst werden könnten, wenn Kirche und Religion die Schuld zu sehr betonen und ständig mit Schuldgefühlen ein schlechtes Gewissen hervorrufen.

Krankheitssymptom. Schuldgefühle können aber auch Symptom einer psychischen Erkrankung sein. Depressionen sind fast immer mit Versündigungs- und Schuldgefühlen, mit Selbstvorwürfen und Versagensängsten verbunden. Auch bei den Suchterkrankungen spielt die Schuldfrage eine nicht unumstrittene Rolle. In seltenen Fällen können sich Schuldgefühle sogar zu einem Schuldwahn verdichten, manchmal treiben sie den Menschen in den Suizid. Bei solchen Störungen ist professionelle Hilfe durch Psychiater und Psychotherapeuten unverzichtbar.

Blick nach vorne richten.
Bei unseren alltäglichen Schuldgefühlen ist es wichtig, diese zunächst zu erkennen und richtig zu interpretieren. Sie sind jedenfalls Alarmsignale und weisen auf gefahrvolle Verhaltensweisen und fehlerhafte Entwicklungen hin. Wenn man Schuld spürt, wird es hilfreich sein, für etwaige Fehler die Verantwortung zu übernehmen und seine Lehren daraus zu ziehen, also den Blick nach vorne zu richten. Spricht man die Schuldgefühle an, lassen sie sich enttarnen und entschärfen, da sie durch das Wort fassbar und begreiflich werden. Sehr hilfreich ist die Sichtweise einer außenstehenden Person, da man sich durch deren nüchterne Analyse weniger in Selbstvorwürfe versteigt und vielleicht erkennt, dass menschliches Verhalten immer auch schuldhaft sein kann. Wie bei allen psychischen Belastungen ist es auch bei der Schuld erforderlich, nach ehrlicher Auseinandersetzung loslassen zu können. Am allerwichtigsten ist aber, auch in einer schuldhaften Situation zu sich selbst zu stehen, mit seinen Fehlern und Schwächen, aber auch seiner Bereitschaft, aus Erfahrungen zu lernen und sich nötigenfalls zu ändern.

Deshalb folgt im Vaterunser die flehentliche Bitte um Vergebung der Schuld unmittelbar nach jener um das tägliche Brot.
Reinhard Haller

Tägliches Brot und Schuldvergebung. Nichts ist so schwer zu ertragen wie Schuldgefühle und nur Weniges so wichtig wie die Befreiung von dieser quälendsten aller Emotionen. Deshalb folgt im Vaterunser die flehentliche Bitte um Vergebung der Schuld unmittelbar nach jener um das tägliche Brot, bei der es um das nackte Überleben geht. Und der tiefere Sinn der christlichen Fasten- und Osterzeit liegt in der Erlösung der Menschen durch den Opfertod Christi: der Befreiung von Sünde und Schuldgefühlen.

Serie in der Fastenzeit
Teil 3 von 7

Reinhard Haller nähert sich dem Phänomen „Schuld“ aus psychologischer Sicht, geht den Wurzeln der Schuldgefühle auf den Grund und erklärt, wie man sie überwinden kann.

Autor:

Kooperationsredaktion aus Burgenland | martinus

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