Weltanschauungsarbeit heute | 09
Traditionen in Bewegung

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Vom Johannisfeuer zur Sommersonnenwende

In unserer heutigen Welt scheint es bisweilen so, dass alte Traditionen und Bräuche an Bedeutung verlieren, weil sie als zu starr und unbeweglich wahrgenommen werden. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass Veränderungen stets ein wesentlicher Bestandteil von Traditionen waren, indem sie übernommen, angepasst und weiterentwickelt wurden, um auf diese Weise relevant zu bleiben.
Das Weihnachtsfest, das bereits in der Antike als Fest der Wintersonnenwende gefeiert wurde, ist ein Beispiel dafür. Im Laufe des 4. Jahrhundert wurde es von der christlichen Kirche übernommen und dabei zum Fest Christi Geburt umgewandelt. Auch das Erntedankfest hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Erntedankfeste gab es bereits in vorchristlicher Zeit und sind in der christlichen Tradition seit dem 3. Jahrhundert belegt. Ursprünglich ein Fest der Dankbarkeit für die Ernte, ist es heute oftmals ein Anlass für eine gemeinsame Wertschätzung gegenüber der Natur, auch wenn die religiöse Bedeutung dieses Festes vielerorts abgenommen hat.
Die Sommersonnenwende wird meistens am 21. Juni gefeiert, traditionell gilt jedoch die Johannisnacht am 24. Juni als „hohe Sonnwend“. Die Sommersonnenwende war von Beginn an eine mystische Zeit, die mit verschiedenen Feierlichkeiten begangen wurde. Dieses fest im Brauchtum verankerte Fest wurde vom Christentum übernommen und auf den „Lichtbringer“ Christus übertragen. Diese Lichtsymbolik spiegelt sich auch in den Johannis- bzw. Sonnwendfeuern wider. Die Bilder von Bergketten (siehe Bild oben), auf denen in dieser Nacht eigens dafür angelegte Feuerstellen entfacht werden, beeindrucken jedes Mal aufs Neue und können auch ohne einen religiösen Bezug eine inspirierende Erfahrung darstellen.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass (religiöse) Traditionen und Bräuche nicht unbedingt starr und unbeweglich, sondern auch lebendig und anpassungsfähig sein können. Sie bieten Orientierung und Kontinuität, auch indem sie sich den Gegebenheiten der Zeit anpassen – und somit für die Menschen relevant bleiben. Durch die Wertschätzung von Bräuchen und Traditionen sowie einer gewissen Offenheit für Neues kann eine lebendige Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart geschaffen werden. Somit sind Traditionen nicht nur ein Blick zurück, sondern auch ein Wegweiser in die Zukunft.
Robert Wurzrainer

Robert Wurzrainer

ist Religionswissenschaftler und Referent für Weltanschauungsfragen der Erzdiözese Wien.

  • Warum wird die Weiterentwicklung von Traditionen bisweilen als Bedrohung wahrgenommen?
    Dies kann mehrere Gründe haben, unter anderem die Sorge vor dem Verlust der kulturellen oder religiösen Identität oder von bestimmten Werten und Normen. Dies gilt vor allem in religiösen Kontexten, wo Traditionen oft fundamentale Glaubensinhalte vermitteln. Doch auch die zunehmende Kommerzialisierung von Traditionen und Bräuchen wird kritisch betrachtet und bisweilen abgelehnt.
  • Welche positiven Aspekte sind hier zu nennen?
    Traditionen und Bräuche können durch mögliche Anpassungen lebendig und relevant bleiben. Durch die Miteinbeziehung der gegenwärtigen Situation und den Bedürfnissen der Gesellschaft sowie der Lebensrealität der Menschen können sie weiterhin eine wichtige Rolle im kulturellen, religiösen und sozialen Leben spielen.

Referat bzw. Fachstelle für Weltanschauungsfragen
Jede Diözese verfügt über ein Referat bzw. eine Fachstelle für Weltanschauungsfragen. Diese Stellen bieten …

  • … Orientierung in der Vielfalt religiöser Bewegungen und weltanschaulicher Strömungen;
  • ... persönliche Beratung und Hilfe für Menschen, die belastende Erfahrungen mit problematischen Gemeinschaften machen;
  • … schriftliche Information zu unterschiedlichen Themenbereichen in Form von Texten, Broschüren und Lexikonartikeln sowie Materialien für die Bildungsarbeit und den Unterricht.

www.weltanschauungsfragen.at

Robert Wurzrainer ist Religionswissenschaftler und Referent für Weltanschauungsfragen der Erzdiözese Wien. | Foto: List
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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