Serie zur Sozialenzyklika "Fratelli tutti" | Teil 07
Miteinander reden

Das Bild eines Polyeders – eines von vielen Flächen begrenzten Körpers – greift Papst Franziskus beim Thema Dialog auf. Diese Vielfalt findet im Dialog aber eine Bündelung auf den „Körper“ der Wahrheit. | Foto: istock.com
  • Das Bild eines Polyeders – eines von vielen Flächen begrenzten Körpers – greift Papst Franziskus beim Thema Dialog auf. Diese Vielfalt findet im Dialog aber eine Bündelung auf den „Körper“ der Wahrheit.
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Im sechsten Kapitel der Enzyklika beschäftigt sich Papst Franziskus mit dem Dialog.

Der Satz des Papstes „Um einander zu begegnen und sich gegenseitig zu helfen, müssen wir miteinander sprechen“ (198) klingt so selbstverständlich, und trotzdem ist es wichtig, dass auf diese grundsätzliche Tatsache hingewiesen wird. Das Gespräch miteinander ist ja die Basis jeder sozialen Bindung. In Familien auf der einen Seite wie in der großen Politik auf der anderen Seite: Wenn man nicht mehr miteinander redet, ist Feuer am Dach. Im Dialog stellt man sich der Realität, der sich viele verweigern, „indem sie sich in die Privatsphäre zurückziehen, andere begegnen ihr mit zerstörerischer Gewalt“. (199) Der Dialog dagegen schafft aus Begegnung geformte Kultur.

Was fehlt zum Dialog?
Mit all den Kommunikationsmitteln, besonders auch digitaler Art, so könnte man vermuten, wäre dieser Dialog heute einfach, aber teilweise entzieht man sich gerade damit der Wirklichkeit. Oft sucht man nämlich nur Bestätigung, hört andere nur dann, wenn sie mir zustimmen. Und man tut sich viel leichter beim Lügen, wenn man dem anderen nicht in die Augen schauen muss. So warnt der Papst auch davor, dass das Gespräch von Partikularinteressen oder hitzigem Meinungsaustausch, bei dem ich davon ausgehe, dass der andere seine Meinung mit meiner tauscht, beherrscht wird.
„Der echte Dialog in der Gesellschaft setzt die Fähigkeit voraus, den Standpunkt der anderen zu respektieren und zu akzeptieren, dass er möglicherweise gerechtfertigte Überzeugungen oder Interessen enthält.“ (203) Dieser positive Zugang zum anderen ist wichtig, damit nicht nur die Worte verstanden werden, sondern auch der dahinterliegende Sinn. Das zeigt sich zum Beispiel in Bezug auf die Coronaregeln: Es ist wichtig, nicht nur die definierten Regeln wohl oder übel anzunehmen, es gilt auch den Sinn dahinter zu erkennen und danach zu handeln.

Viele Zugänge zu der einen Wahrheit

Die Wirklichkeit kann ja durchaus aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, unser Zugang ist einer der vielen möglichen Blickwinkel. Das heißt nun aber nicht, dass alles gleich gültig ist und in der Folge gleichgültig wird. „Relativismus ist keine Lösung!“ (206), so der Papst.
Man braucht den Ausgangspunkt von der Anerkenntnis der Würde jedes Menschen, und dazu muss man sich im Dialog in Beziehung setzen. Papst Franziskus greift dazu das Bild des Polyeders auf, eines von vielen Flächen begrenzten Körpers, der in verschiedenen Farben schillern kann. Diese Vielfalt findet im Dialog aber eine Bündelung auf den „Körper“ der Wahrheit.
„Darf ich? Entschuldige! Danke!“ (214) sind nach der Aussage des Papstes Schlüsselwörter dieser Anerkenntnis des anderen im Dialog, einfache Worte, die uns aber oft so schwer über die Lippen kommen. Nicht zuletzt diese Worte im Dialog führen zu einem vom Papst so genannten „Kulturpakt“, der andere Lebensstile, Weltanschauungen respektiert und damit friedliches und friedenförderndes Zusammenleben erreichen hilft. An und für sich einfach, aber warum gehen wir nicht öfter einen solchen Pakt ein?

Aus der Enzyklika zitiert
211
Zu akzeptieren, dass es einige bleibende, wenn auch nicht immer leicht zu erkennende Werte gibt, verleiht einer Sozialethik Solidität und Stabilität. Auch wenn wir solche Grundwerte dank Dialog und Konsens erkannt und angenommen haben, sehen wir, dass sie über jeden Konsens hinausgehen – wir erkennen sie als Werte an, die unsere individuelle Situation überschreiten und niemals verhandelbar sind.

213
Wenn (man) die Würde des Nächsten in jeder Situation respektieren soll, dann nicht etwa deshalb, weil wir die Würde des anderen erfinden oder annehmen, sondern weil er wirklich einen Wert besitzt, der über die materiellen Dinge und die Umstände hinausgeht; dieser erfordert, dass wir ihn auf andere Weise behandeln. Dass jeder Mensch eine unveräußerliche Würde besitzt, ist eine Wahrheit, die der menschlichen Natur unabhängig jeden kulturellen Wandels zukommt. Deshalb besitzt der Mensch in jeder zeitlichen Epoche die gleiche unantastbare Würde. Niemand kann sich durch die Umstände ermächtigt fühlen, diese Überzeugung zu leugnen …

221
Die Suche nach einer falschen Toleranz muss dem Realismus des Dialogs weichen, dem Realismus derer, die überzeugt sind, ihren Prinzipien treu bleiben zu müssen, gleichzeitig aber anerkennen, dass der andere ebenso das Recht hat, zu versuchen, seinen eigenen Prinzipien treu zu sein.

Der Grazer Sozialethiker Dr. Leopold Neuhold analysiert für das Sonntagsblatt die Grundlinien der soeben erschienenen Sozialenzyklika von Papst Franziskus.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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