Werke der Barmherzigkeit - 2007/2008 | Teil 06
Kranke pflegen
Einerseits ist dieses „Werk der Barmherzigkeit“, die Pflege der Kranken, eine Selbstverständlichkeit; da werden auch viele Menschen zustimmen, die nicht unbedingt der Sache Jesu dienen und sich nicht unbedingt einen Platz im Himmelreich sichern möchten; aber dass man Kranke pflegt, ist in unserer mitteleuropäischen Zivilisation eine pure Selbstverständlichkeit.
Andererseits entspricht dieses selbstverständliche Gebot christlicher Nächstenliebe nicht ganz dem Text in der Weltgerichtsrede im 25. Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Da sagt Jesus nämlich: „Ich war krank, und ihr habt mich besucht.“ Ist das Besuchen nun mehr, oder ist es weniger als das Pflegen von Kranken? Am besten sprechen wir vom „Dienst an den Kranken“, da ist alles gemeint, was das Verhältnis von Gesunden und Kranken zueinander betrifft.
Der Krankendienst erfordert neben vielfältigen Fähigkeiten auf medizinischem Gebiet vor allem seelisches Einfühlungsvermögen, und manchmal ist das Gespräch mit dem Kranken wichtiger als die Spritze – oder jedenfalls genau so wichtig. Es ist ein Jammer, dass in unseren Krankenhäusern das Pflegepersonal so belastet ist, dass es kaum Zeit findet, sich ans Krankenbett zu setzen und mit dem Kranken über seine seelische Not zu sprechen. Das haben, als der Alltag im Krankenhaus noch nicht so aufreibend war, die Ordensschwestern glänzend gemacht. Es ist übrigens interessant, dass auch heute noch die Krankenpflegerinnen, auch wenn sie keinem Orden angehören, mit „Schwester“ angeredet werden; irgendwie hat das Verhältnis von Krankem und Pflegendem etwas mit geschwisterlicher Sorge zu tun.
Als Jesus das Wort vom Krankenbesuch als dem Zugang zum Himmelreich sprach, waren die Kranken in einer sehr misslichen Lage. Denn in der Religion Jesu galt Krankheit oft als Strafe für Sünden.
Ich erlebe als Pfarrer oft kranke Menschen und bin immer erstaunt, dass sie sich fast immer richtig freuen über den Besuch. Oft kommt es zu tiefen Gesprächen, manchmal bleibt das Gespräch eher an der Oberfläche; das sind wohl einfach unterschiedliche Mentalitäten. Aber die wesentlichsten seelsorglichen Gespräche habe ich mit Kranken geführt, und mir scheint, dass das etwas mit der Grenzsituation der Krankheit zu tun hat. Bei Gesunden sind nämlich solche Gespräche gar nicht so selbstverständlich; da fühle ich mich manchmal sehr unwillkommen. Aber Krankheit schafft offensichtlich Nähe und gegenseitige Zustimmung: ein Stück von jenem Himmelreich, das Jesus anbietet.
Ich kann mir nämlich gut vorstellen, dass das geschwisterliche Miteinander in der Ausnahmesituation der Krankheit – im Pflegen und Besuchen – ein bisschen Himmel ist.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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