Heilsam leben - mit Hildegard von Bingen | Teil 02
Klartext. Und trotzdem gefragt
Viele Menschen, einfache ebenso wie hochgestellte, wandten sich an Hildegard um Rat. Und man hörte auch dann auf sie, wenn sie unbequeme Mahnungen verkündete. Das „Geheimnis“: Sie war eine Prophetin zum Anfassen.
Die Tatsache, dass Hildegard mit Gott gut im Gespräch war, hat sich auch auf ihre Kommunikation mit den Menschen ausgewirkt. Beides war untrennbar miteinander verbunden. Denn Hildegard ist eine Frau, deren Wissen aus der Erfahrung kommt. Nicht Bücher haben sie schlau gemacht. Ihre Weisheit rührt vielmehr daher, dass sie die Welt im Licht Gottes wahrnimmt. Sie schreibt, dass sie im Schatten des lebendigen Lichtes klar erkennen kann, welche Motive hinter den Taten der Menschen stecken. Und deshalb weiß sie auch, ob etwas Gutes dabei herauskommen kann. Die Treffsicherheit ihrer Antworten hat Hildegard bald zu einer gefragten Gesprächspartnerin und geistigen Begleiterin gemacht.
Aus allen Schichten. Das Spektrum der Empfänger/innen ihrer Briefe umfasst Laien ebenso wie Kleriker, Äbtissinnen wie Bischöfe, Könige und Päpste. Hildegard berät sie in persönlichen Angelegenheiten, setzt aber auch Maßstäbe für politisches Handeln. Nach einer Begegnung mit Kaiser Friedrich Barbarossa in der Pfalz Ingelheim schreibt sie für ihn einen Fürstenspiegel. Diese mittelalterliche Literaturgattung ist so etwas wie ein ethischer Leitfaden für Politiker. Hildegard orientiert sich dabei an der Regel Benedikts, die ein bemerkenswert ausgeglichenes, vernünftiges Lebensmodell ist und deren Anforderungen an die leitenden Ordensleute auch auf öffentliche Ämter übertragbar sind. Ihr Brief an Kaiser Friedrich spricht auch von persönlicher Sympathie. „Es ist wunderbar, dass der Mensch einer solch anziehenden Persönlichkeit bedarf, wie du, o König, es bist.“ Hildegard fühlt sich verantwortlich für die Menschen, die sie begleitet. Deshalb redet sie Klartext, wenn einer von ihnen vom guten Weg abweicht. Friedrich muss sich einige Jahre später anhören: „O König, es ist dringend notwendig, dass du in deinen Handlungen vorsichtig bist. Ich sehe dich nämlich in der geheimnisvollen Schau wie ein Kind, einen unsinnig Lebenden vor den Augen Gottes. Noch hast du Zeit, über irdische Dinge zu herrschen. Gib acht, dass der höchste König dich nicht zu Boden streckt wegen der Blindheit deiner Augen, die nicht richtig sehen, wie du das Zepter zum rechten Regieren in der Hand halten musst. Darauf hab acht. Sei so, dass die Gnade Gottes in dir nicht erlischt.“
PR? Selbstverständlich! Nachdem Hildegard gelernt hatte, mit ihrer besonderen Begabung umzugehen, fand sie es ganz selbstverständlich, sie positiv nach außen zu vertreten. Briefe waren im Mittelalter öffentliche Dokumente, die man auch für die Nachwelt aufbewahrte. Deshalb wurden in ihrer Schreibstube die Anschreiben ebenso aufbewahrt wie die Antworten der Äbtissin. 1173, also noch zu Lebzeiten Hildegards, wurden die Briefe zu einer eigenen Sammlung zusammengefasst und dabei redaktionell bearbeitet. Einige inhaltlich eher dürftige Schreiben wurden durch Hinzufügungen ein wenig interessanter gemacht, und auch die Namen der Adressaten wurden geändert, damit der Briefwechsel insgesamt einen besseren Eindruck machte. So wurde beispielsweise ein Brief Papst Eugens Papst Hadrian zugeschrieben, der in Hildegards Sammlung noch fehlte. Der Brief an den Kölner Erzbischof Konrad wurde aus einer Reihe von Briefen an verschiedene Laien zusammengestellt. Was uns heute als fragwürdig erscheint, war im Mittelalter nicht ungewöhnlich. Es gab weder ein Urheberrecht noch ein dem unseren vergleichbares Bewusstsein für geistiges Eigentum. Deshalb zitierte Hildegard auch unbefangen ohne nähere Angaben aus den Werken der Kirchenväter.
Frauenpredigt? Auf jeden Fall! Im 12. Jahrhundert durchaus ungewöhnlich waren die Predigtreisen Hildegards. Auf ihnen besuchte sie einerseits Menschen, die sie bisher brieflich betreut hatte, sie predigte aber auch auf öffentlichen Plätzen in Bamberg, Köln und anderswo. Im Hinblick auf den Zustand der Kirche nahm sie sich kein Blatt vor den Mund. In Köln war das besonders wichtig, denn die Sekte der Katharer hatte starken Zulauf. Die Menschen, die ihnen folgten, kümmerten sich nicht um die leib- und lebensfeindliche Ideologie dieser Gruppe, sie fühlten sich von der intakten Sozialstruktur der Sekte angesprochen. Deshalb erinnerte sie die Priester nachdrücklich an ihren Verkündigungsauftrag und akzeptierte keine der vielen Ausreden wie „Wir können schließlich nicht alles tun“. Oder: „Wir können weder diese noch jene überwinden.“
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.