Durchkreuzt | Fastenserie 2020 | Teil 6
In Schuld verstrickt sein
Durchkreuzt. Über den Umgang mit durchkreuzten Lebensplanungen.
Pater Martin Werlen, OSB
Kloster Einsiedeln
Es gibt Erzählungen in der Heiligen Schrift, die mich besonders bewegen. Sie sind für mich sozusagen kostbare Perlen. Wie oft habe ich mir gedacht: Sie allein wäre für mich Grund genug, diesem Jesus nachzufolgen. Eine solche Erzählung ist die von Zachäus (Lk 19,1–10).
Jesus kommt nach Jericho. Dort ist dieser Zachäus daheim. Von ihm erfahren wir mit wenigen Worten einiges: Er ist der Chef der Zöllner – also nicht nur ein von der damaligen Gesellschaft Verachteter, sondern der Chef der Verachteten. Diese Stellung führte dazu, dass er sehr reich ist. Er ist von kleiner Gestalt. Er hat schon einiges von Jesus gehört und dass dieser durch die Stadt laufe. Den will er unbedingt einmal sehen.
Zachäus ist für mich ein großartiges Bild für die Pilgerinnen und Pilger, die nach Einsiedeln kommen. Darunter sind Arme und Reiche, Große und Kleine, Konservative und Progressive, Gesunde und Kranke, Menschen, die in der Kirche daheim sind, und solche, die sich von ihr verabschiedet haben, Getaufte und Menschen aus anderen Religionsgemeinschaften, Fromme und Atheisten, Bejubelte und Ausgestoßene. Wie oft treffen wir gerade hier Menschen, von denen wir nie erwartet hätten, dass auch sie nach Einsiedeln kommen! Eines verbindet uns wohl alle: In meinem Leben, da muss doch noch etwas mehr dahinter sein. Uns verbindet eine Neugier oder Sehnsucht, mehr zu entdecken. Wir wollen diesen Jesus kennen lernen, der hier vorbeikommen soll.
Die Mühe des Zusammenlebens. Zachäus hat da ein großes Problem. Er ist klein. Die anderen stehen ihm im Weg. Die anderen machen uns das Leben manchmal tatsächlich schwer. Wir kennen das alle aus eigener Erfahrung. Ein schlagfertiger Mitbruder meinte einmal: „Das Klosterleben wäre schon etwas Groß-artiges, wenn nur die mühseligen Mitbrüder nicht wären!“ Ja, Mühe machen uns nicht die Fernen, Mühe machen uns diejenigen, mit denen wir zusammenleben. Im Wege stehen können uns auch Erfahrungen, Schicksalsschläge, das Älterwerden. Zachäus zieht sich nicht enttäuscht zurück. Er lässt es nicht beim Ärger stehen. Er boxt sich auch nicht einfach durch oder schafft sich den Zugang mit etwas Geld, an dem es ihm nicht mangelt. Er läuft voraus an eine Stelle, wo Jesus vorbeikommen muss, und steigt auf einen Baum. Von oben herab muss er diesen Jesus doch sehen können. So kommen Pilgerinnen und Pilger aus ihrem Alltag heraus auch herauf nach Einsiedeln. Sie sind sich gewiss: Hier muss Jesus vorbeikommen. Von hier aus muss man doch wenigstens einen Blick auf ihn werfen können.
Auch ein Kind Abrahams. Und tatsächlich kommt Jesus hier vorbei. Er schaut hinauf und sagt zu dem auf dem Baum: „Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben.“ Zachäus steigt herunter und nimmt Jesus mit Freude bei sich auf. Jesus will auch uns von unseren Maulbeerfeigenbäumen herunterholen, auf die wir gestiegen sind. Bei Zachäus will Jesus bleiben – bei mir und bei dir will Jesus bleiben.
Diejenigen, die Zachäus vorher im Wege gestanden sind, wollen ihm auch jetzt im Wege stehen. Sie beginnen zu nörgeln: „Zu diesem Chef-Sünder unserer Stadt geht er.“ Aber er ist ihnen nicht mehr ausgeliefert. Da ist einer, der größer ist. Zachäus, berührt von dieser großen Liebe, will alles gutmachen, was er in seinem Leben verbrochen hat. Und das Wort Jesu: „Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“
Jesus ist bei Zachäus zu Gast. Die Begegnung verändert das Leben von Zachäus. Jesus kehrt bei uns ein, wenn wir in Stille oder in Gemeinschaft beten. Er kehrt bei uns ein, wenn wir auf sein Wort hören. Er kehrt bei uns ein, wenn wir Eucharistie feiern. Er kehrt bei uns ein, wenn wir das Sakrament der Versöhnung empfangen. Er kehrt bei uns ein, wenn wir durch die Stadt laufen.
So denke ich kurz vor der Kommunion jeweils an Zachäus. Er hat mir ein Gebet neu erschlossen. Ich Sünder sitze zusammen mit anderen Menschen auf dem Maulbeerfeigenbaum unserer Stadt und unserer Zeit, „damit wir voll Zuversicht das Kommen unseres Erlösers Jesus Christus erwarten“.
Gottes Blick. Damit ist Zachäus für mich auch zum adventlichen Menschen geworden: „Darum lief er voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus zu sehen, der dort vorbeikommen musste.“ Jesus kehrt beim Super-Sünder ein. Welche Hoffnung leuchtet hier für uns alle auf! Wie viel erfahren wir in dieser Begebenheit über unseren Gott! „Jesus ist das menschliche Antlitz Gottes!“ (Benedikt XVI.) Gott schaut nicht böse auf den Super-Sünder herab, wie dies oft verkündet wurde. Im Gegenteil. Gott schaut in Liebe zum Sünder hinauf. Das bewegt!
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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