Werke der Barmherzigkeit mit P. Anselm Grün | Teil 03
Ich war fremd.
Die Griechen haben das gleiche Wort für Fremder und Feind. Doch damit der Fremde nicht zum Feind wird, sondern zum Freund, war die Gastfreundschaft etwas Heiliges. Das galt für die ganze Antike, für Griechen, Römer und Juden.
Geschichten der Gastfreundschaft
Das Neue Testament erzählt uns wunderbare Geschichten der Gastfreundschaft. Lukas erzählt von den Emmausjüngern. Sie laden den fremden Mann, der sich ihnen auf dem Weg anschließt, ein, bei ihnen zu bleiben. Und auf einmal erkennen sie ihn beim Brotbrechen als den Auferstandenen. Sie werden durch den Gast beschenkt. Maria und Martha nehmen Jesus und seine Jünger auf. Dabei mahnt Jesus Martha, die gastfreundlich für Jesus und seine Jünger sorgt, wie Maria zuerst auf das zu hören, was der Fremde sagen möchte.
Gastfreundschaft heißt nicht, eine Pflicht gewissenhaft zu erfüllen und für den Fremden zu sorgen, sondern zuerst einmal offen zu sein für das, was der Fremde in mein Haus bringt, was er mir zu sagen hat. Der Fremde stellt mein eigenes Lebensgebäude in Frage. Er zeigt mir neue Weisen, wie ich leben könnte. Ich soll ihn nicht nur aus Mitleid aufnehmen, sondern immer auch im Glauben, dass im Fremden Christus selbst mir begegnet. Der Hebräerbrief mahnt die Christen: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt“ (Hebr 13,2). Die Engel lassen immer ein Gastgeschenk da, wenn sie aufgenommen werden.
Jesus – ein Fremdling
Matthäus lässt uns verstehen, warum Jesus sich selbst mit dem Fremden identifiziert: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35). Jesus muss schon als Kind nach Ägypten fliehen, weil ihm Herodes nachstellt und ihn töten möchte. So wird Jesus ein Fremdling. Wie Israel in Ägypten als Fremder gelebt hat, so auch Jesus. Er muss etwa drei Jahre in Ägypten bleiben, bis Herodes stirbt. Matthäus sieht in dieser Fremdlingschaft Jesu die Erfüllung prophetischer Verheißung: „Denn es sollte sich erfüllen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“ (Mt 2,15). Weil Jesus selbst als Fremder in Ägypten gelebt und darin das Schicksal des Volkes Israel auf sich genommen hat, begegnen wir in jedem Fremden Christus. Jesus hat eine besondere Nähe zu den Fremden. Wenn wir daher einen Fremden aufnehmen, nehmen wir letztlich Christus selbst auf.
Benediktinische Gastfreundschaft
Der heilige Benedikt ermahnt seine Brüder zur Gastfreundschaft. Er hat ein eigenes Kapitel über die Aufnahme der Gäste geschrieben. Er beschreibt, wie die Mönche dem Gast entgegengehen sollen: „Bei der Begrüßung begegne man allen Gästen, die ankommen oder fortgehen, in tiefer Demut: Man neigt den Kopf oder wirft sich ganz zur Erde nieder, um in den Gästen Christus zu verehren, der auch wirklich aufgenommen wird.“
Auch wenn die Mönche Benedikts Weisung nicht immer angemessen befolgt haben, so ist doch die benediktinische Gastfreundschaft sprichwörtlich geworden. Auch heute noch versucht jedes Benediktinerkloster die Gastfreundschaft hochzuhalten. Auch heute ist es so wie zur Zeit Benedikts, dass nicht nur Gläubige kommen, sondern viele Kirchenferne, viele, die sich auf die Suche machen und mit der Hoffnung in ein Kloster kommen, dort in eine andere Welt einzutauchen, die sie in Berührung bringt mit ihrer eigenen spirituellen Sehnsucht.
Ein Stachel
Fremde aufnehmen hat heute über den privaten Bereich hinaus eine politische Dimension bekommen. Zahlreiche Fremde drängen in unser Land, weil sie dort, wo sie wohnen, keine Lebensmöglichkeit finden. Wir sind längst eine multikulturelle Gesellschaft geworden. Natürlich gibt es da auch Probleme in der Verständigung und Integration der Ausländer. Und es gibt Grenzen in der Aufnahmekapazität einer Gesellschaft für Fremde.
Dennoch müssen wir uns als christliches Land fragen, wieweit wir die Forderung Jesu nach Gastfreundschaft heute erfüllen und was uns Jesus heute sagen würde. Viele Kirchen haben Ausländern Kirchenasyl gewährt und so konkret das Wort Jesu erfüllt. Das Wort Jesu ist eine ständige Herausforderung an uns, die wir nicht vorschnell rational wegschieben dürfen. Sie ist ein Stachel, der bei all unseren Diskussionen über die Integration und Aufnahme von Ausländern in unserer Gesellschaft präsent sein muss.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.