Werke der Barmherzigkeit - 2007/2008 | Teil 01
Hungrige speisen
Ein Messer, eine Gabel, ein Löffel! Der Betrachter unseres Bildes wird sich die Frage stellen: Ist da jemand so satt, dass er die Geräte, die er zum Essen braucht, abgelegt hat, oder wartet da einer sehnsüchtig auf etwas Essbares? Außer den Ess-Geräten steht nämlich nichts auf dem Tisch, und so kann man bildhaft an alle diejenigen Menschen in der Welt erinnern, die nur leere Geräte – vielleicht nur eine selbstgemachte Holzschüssel – haben und sonst nichts; die Mehrheit der Menschen ist in dieser verzweifelten Situation.
An der ersten Stelle der sieben Werke der Barmherzigkeit steht „Hungrige speisen“, und ich frage mich erstaunt, warum hier von „speisen“ die Rede ist und nicht davon, was näher liegen würde, Hungrigen „zu essen“ zu geben. So übersetzt es die deutsche Einheitsübersetzung.
Das Jesus-Wort ist schlüssig: Die vielen Menschen heute, die sich um die Hungrigen der Welt sorgen und zum Beispiel durch ihr Geldopfer, aber auch durch ihr karitatives Engagement zur Speisung der Hungernden beitragen, stehen Jesus sehr nahe; da wird sein Gottesreich mitten in unserer oft sehr gottfernen Welt schon ganz konkret; da bekommt es Konturen.
Aber „speisen“? Das griechische Wort „phagein“ meint mehr als nur Nahrungsaufnahme, wobei der griechische Begriff ähnlich wie im Deutschen doppeldeutig zu verstehen ist: jemanden speisen, also jemandem Nahrung geben; und: Nahrung zu sich nehmen, ohne dass es einem unbedingt von einem anderen gegeben wird. Und etwas Feierliches ist auch dabei: Mahl halten und speisen, das ist mehr als nur essen!
So geht es also auch Jesus: Einerseits verlangt er, dass die Hungrigen gespeist werden; anderseits: Das Wort „phágos“ wird im elften Matthäus-Kapitel als Schimpfwort gebraucht; die Bibel übersetzt: „Er ist ein Fresser.“
Vielleicht bedeutet das erste „Werk der Barmherzigkeit“, dass es nicht nur darauf ankommt, den Hungernden ein bisschen mehr oder auch weniger genießbare Nahrung zuzustecken; sondern dazu gehört auch, dass das „Speisen“ der Hungrigen auch mit dem Fest zu tun haben muss. Das Festmahl aber hat immer mit Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit zu tun; auch das ist wohl beim Speisen der Hungrigen gemeint.
In Kenia sagt man: „Wenn viele Kinder gleichzeitig essen, wird der Brei nicht kalt!“ – Wohl auch deswegen, weil das gemeinsame Essen ein Fest ist, ob mit oder ohne Ess-Besteck.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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