Gott in Frankreich | Teil 09
Großzügigkeit mit Hintergedanken

Mit mehr als vier Millionen Anhängern ist der Islam (nach den Katholiken) die zweitgrößte Religionsgemeinschaft Frankreichs. Dies wird auch in der Präsenz muslimischer Kultur sichtbar. | Foto: Breser
  • Mit mehr als vier Millionen Anhängern ist der Islam (nach den Katholiken) die zweitgrößte Religionsgemeinschaft Frankreichs. Dies wird auch in der Präsenz muslimischer Kultur sichtbar.
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Die beiden Flügeltüren zum großen Gebetssaal stehen weit offen: Drinnen knien und sitzen Männer, einige liegen am Boden, manche verbeugen sich zwischendurch oder blättern in Büchern. Alle schweigen. Nur aus den Räumen an der anderen Seite der Säulenhalle, deren bunte Mosaiksteine in der Nachmittagssonne leuchten, dringen Stimmen. „Da befindet sich das Hamam – das islamische Reinigungsbad“, erklärt mir der Portier: „Ansonsten ist unsere Moschee aber ein Ort der Ruhe.“

„La Grande Mosquée“, dieses muslimische Gebetshaus nicht weit von der Pariser Sorbonne-Universität entfernt, dient als Symbol für die Freundschaft Frankreichs zum Islam: Nachdem im Ersten Weltkrieg rund 100.000 Muslime für Frankreich gefallen sind, verschenkte die Stadt Paris ein Grundstück in guter Lage, und der französische Staat finanzierte den Bau dieser marokkanisch inspirierten Moschee. Um das Laizismus-Gesetz von 1905 zu umgehen, das dem Staat eine Subventionierung von Kultstätten untersagt, ließ man sich eine Ausnahmeregelung einfallen.

Der Hinweis auf diese Großzügigkeit verschleiert aber mitunter andere französische Umgangsformen mit seinen muslimischen Mitbewohnern: Etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, als man zahlreiche Muslime zum Wiederaufbau ins Land holte, sie in Hüttensiedlungen pferchte und mit der Illusion ruhig stellte, wieder heimkehren zu können.

 

Französischer Islam
Mit vier bis fünf Millionen Anhängern ist der Islam seit langem die zweitgrößte Religionsgemeinschaft Frankreichs. Doch erst im Jahr 2000 empfing Ex-Staatspräsident Chirac auch eine Delegation von muslimischen Imamen zum traditionellen Neujahrstreffen der wichtigsten französischen Religionsvertreter im Elysée-Palast. Seitdem hat sich manches geändert. Französische Politiker engagierten sich in letzter Zeit sogar mehr für Muslime, als es die verfassungsmäßige Trennung von Kirche und Staat eigentlich zulässt: Als Innenminister hatte Nicolas Sarkozy den Muslimen zur Gründung eines offiziellen Zentralrates (Conseil français du culte musulman) verholfen. Außerdem initiierte er eine Stiftung, die Frankreichs Muslime beim Bau neuer Kultstätten finanziell unterstützt.

Auch die Entstehung öffentlicher Schulen für die Ausbildung von muslimischen Imamen ist im Gespräch. Der Hintergedanke: Man möchte einen „französischen Islam“ etablieren. Großzügige politische Gesten entpuppen sich daher als Angsthandlungen vor französischen Subkulturen unter Einfluss islamischer Länder und Hassprediger. Dafür öffentliche Gelder zu verwenden, scheint jedoch sowohl strikten Laizisten als auch Vertretern anderer Religionsgemeinschaften bedenklich, und französische Muslime wehren sich gegen ständige Assoziationen mit Radikalen.

 

Abnahme
Vincent Tiberj vom Pariser Forschungszentrum CEVIPOF stellte bei den Franzosen mit muslimischen Wurzeln eine Abnahme der religiösen Praxis fest: 35% von ihnen sagten 2005, sie wären ohne Religion. Die Säkularisierung zeigt sich vor allem in der zweiten Generation der Einwanderer. Für die Jungen in den vernachlässigten Banlieus entwickelt sich der Islam hingegen immer mehr zum wichtigsten Merkmal ihrer Selbstbeschreibung: „Weder arabisch noch französisch, aber muslimisch“, hört man da immer öfter.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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