Christentum - Ein Reiseführer | Etappe 015
Gott, eine Illusion?
Atheismus
Im allgemeinen Sprachgebrauch überwiegt ein enges Verständnis des Begriffs. Dieses erkennt im Atheismus eine Weltdeutung, die jede Form des Göttlichen leugnet. Daneben gibt es zwei weitere Verständnisweisen des Begriffs. Die eine begegnet überwiegend im philosophischen Kontext. Sie spricht bereits dort von „Atheismus“, wo der Theismus und damit die Vorstellung einer einzigen, personalen Gottheit geleugnet wird. Legt man dieses zweite, weiter gefasste Verständnis von Atheismus an, so gelten bereits alle polytheistischen Religionen als atheistisch.
Das dritte und letzte Verständnis von Atheismus ist noch einmal deutlich weiter gefasst und urteilt ganz aus der Perspektive der je eigenen Religion. Dieses Verständnis spricht einmal dort von Atheismus, wo andere Gottheiten als die eigenen verehrt werden. Es sieht Gottlosigkeit darüber hinaus dort gegeben, wo die Verehrung der „richtigen“ Gottheiten in „falschen“ Formen erfolgt, d. h. in Formen, die von den eigenen Formen religiösen Ausdrucks abweichen. Dieses sehr weite Verständnis von Atheismus wurde etwa in der Antike gebraucht, um die Haltung eines Sokrates (469–399 v. Chr.) als gottlos zu brandmarken, der angeblich nicht die Stadtgötter Athens, sondern eine für seine Zeitgenossen nicht fassbare, andere Gottheit verehrte. Der Vorwurf der Gottlosigkeit wurde einige Jahrhunderte später ebenso gegen Juden und Christen erhoben, da diese sich weigerten, den offiziell anerkannten Staatsgöttern des römischen Reiches zu huldigen.
Derzeit nehmen etwa verschiedene muslimische Gruppierungen dieses sehr weite Verständnis von Atheismus in Anspruch, um Juden und Christen als Gottlose zu bezeichnen. Im Bereich des Christentums greifen vor allem fundamentalistische Strömungen auf dieses Verständnis zurück.
Die nachfolgenden Überlegungen legen ein enges Verständnis von Atheismus zugrunde. Erläutert wird also eine Haltung, welche die Existenz des Göttlichen überhaupt leugnet, sei dieses nun theistisch, monotheistisch oder polytheistisch ... Dieses enge Verständnis von „Gottlosigkeit“ kennt zwei Grundformen, den theoretischen und den praktischen Atheismus. Der theoretische Atheismus ist ein überwiegend denkerisches und sprachliches Phänomen. Ihm werden alle Äußerungen zugerechnet, die die Existenz Gottes leugnen. Dazu zählen literarische Abhandlungen und akademische Diskurse ebenso wie Gespräche des Alltags. Der praktische Atheismus liegt dort vor, wo Menschen ein Leben führen, in dem die Frage nach einem letzten Sinnhorizont und damit die Frage nach Gott keine Rolle spielt. Dabei ist es unerheblich, ob diese Menschen die Existenz Gottes stillschweigend leugnen, die Frage nach Gott bewusst ausblenden oder sich einfach abgewöhnt haben, sie zu stellen.
Agnostizismus
Als Sonderform des Atheismus gilt der so genannte Agnostizismus. Diese Geisteshaltung will sich in der Frage einer Existenz Gottes nicht festlegen. Sie setzt die Erkenntnismöglichkeiten der menschlichen Vernunft gering an und behauptet, dass der Mensch in keiner Weise von Gott wissen oder mit ihm Kontakt aufnehmen könne. Damit ist Gott faktisch so gut wie geleugnet, denn ein Gott, der für die Menschen in keiner Weise zugänglich ist, muss für diese bedeutungslos bleiben.
Anfänge des Atheismus
Atheistische Äußerungen gehen bis zu den Vorsokratikern und damit bis in die Frühzeit des abendländischen Denkens zurück. Diese Meinungen sind jedoch äußerst selten und bleiben stets absolute Einzelmeinungen. Zudem ist vielfach unbekannt, ob diese Stellungnahmen eine dauerhaft bezogene Haltung oder nur eine kurzfristig bestehende Stimmung wiedergeben. Der geschichtliche Befund zeigt damit recht eindeutig, dass ein radikaler Atheismus, der jede Form des Göttlichen leugnet, in der vor- und außerchristlichen Vergangenheit kaum nachweisbar ist. Der Nährboden atheistischer Meinungen liegt in Krisensituationen, die Menschen existenziell bedrohen und ihnen das Gefühl geben, ganz auf sich allein gestellt zu sein.
In der christlich geprägten Gesellschaft galt die Existenz Gottes bis ins 18. Jahrhundert hinein als eine selbstverständliche Annahme. Wenn einzelne Personen sie bestritten, so erklärte man dies in der Regel mit deren moralischer Verdorbenheit.
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.