Das ganze Leben leben. Bischof Kapellari | Teil 3
Für das Ganze besonders wichtig

„Schaut sie an, sie ist jünger als wir alle“, sagte Johannes Paul II. über Mutter Teresa. Bischof emer. Egon Kapellari erinnert mit diesem Satz an eine Begegnung am Weltjugendtag 1984 in Rom. | Foto: KNA
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  • „Schaut sie an, sie ist jünger als wir alle“, sagte Johannes Paul II. über Mutter Teresa. Bischof emer. Egon Kapellari erinnert mit diesem Satz an eine Begegnung am Weltjugendtag 1984 in Rom.
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Alle christlichen und humanistisch gesinnten Menschen sollen ihre Kräfte verbinden.

Die Mehrheit der jungen Menschen im deutschen Sprachraum hat viel Leben in sich, einfach weil diese jungen Leute jung sind, weil sie lachen, spielen und etwas entdecken wollen. Das können sie oft besser als die Älteren und Alten. Es gibt aber noch eine höhere Art von Leben. Das kommt nicht einfach aus der Natur, sondern von
Gott.
Am Palmsamstag 1984 habe ich in Rom am ersten der Weltjugendtage mit dem damaligen Papst Johannes Paul II. teilgenommen. Damals war ich Bischof von Kärnten und zugleich österreichischer Jugendbischof. Un-gefähr 150.000 junge Leute waren vor der Peterskirche versammelt und füllten den großen Platz und die Straße bis hinunter zum Fluss Tiber. In der Mitte dieser vielen jungen Leute saß der Papst mit den Bischöfen, und neben ihm saß eine alte Frau, eine Ordensschwester. Sie war schon über 70 Jahre alt, hatte ein runzeliges Gesicht und war schon ein wenig gebeugt von der Last eines Lebens, das ganz für Gott und für andere Menschen da war. Diese Frau war die damals schon in der ganzen Welt bekannte Mutter Teresa. Jahre vorher hatte sie den Friedensnobelpreis erhalten, weil sie ein großes Werk zur Hilfe für verhungernde Kinder und auf der Straße zum Sterben ausgesetzte alte Menschen gegründet hatte. Der Papst zeigte am Schluss seiner Ansprache an die vielen jungen Leute auf diese alte Mutter Teresa hin und sagte zu ihnen: „Schaut sie an, sie ist jünger als wir alle.“ Das war kein Scherz, sondern eine tiefe Wahrheit. Die alte Frau war nämlich geistig, geistlich jung geblieben durch ihr Leben mit Gott, mit Christus, weil Gott und sein Heiliger Geist ihr die Kraft gegeben hatten, ganz für arme Menschen da zu sein.
„Nichts ist mehr selbstverständlich“
Jeanne Hersch, eine Schülerin von Karl Jaspers, Professorin der Philosophie in Genf und durch Jahre auch Generaldirektorin der UNESCO, hat mir vor Jahren bei einem Symposium in Frankreich gesagt: „Sie haben es heutzutage als Bischof sehr schwer, weil nichts mehr selbstverständlich ist.“ Dieses Wort hat seither, so glaube ich, nichts an Aktualität verloren. … Es gilt heute längst nicht mehr nur für die Kirche und für ihre Bischöfe, sondern ebenso für Politik generell, für das Gesundheitswesen, für das Bildungswesen auf allen Ebenen, es gilt mit besonderem Gewicht für den sogenannten Generationenvertrag mit einer Jugend, die für sich viel weniger Zukunftschancen wahrnimmt als die Generation ihrer Väter und Mütter.

In dieser epochalen Situation begegnet die katholische Kirche in Westeuropa und zumal in deutschsprachigen Ländern einer Zivilgesellschaft, die auch in ihrem Bezug zu Kirche und zu Religion überhaupt sehr plural ist. Neben einer weit verbreiteten religiösen Gleichgültigkeit besteht eine religionsfreundliche Bereitschaft, sich mit religiösen Themen zu befassen und die Dienste der Kirchen zu respektieren, ja in Anspruch zu nehmen. Es gibt aber weltweit viel berechtigte Kritik an der katholischen Kirche wegen schwerer Verfehlungen kirchlicher Verantwortlicher gegen ihnen anvertraute Menschen, zumal junge Menschen. Sie betrifft auch andere Institutionen, aber die Kirche darf deshalb die eigene Schuld nicht verdrängen, sondern muss sich daran ehrlich abarbeiten und hat noch nicht in allen davon betroffenen Ländern intensiv damit begonnen.

Die gesamte ökumenische Christenheit inmitten der gesamten Menschheit ist aber auch heute und gerade heute eine ungemein große spirituelle und ethische Kraft für das Gute … Auf dem Weg in eine hoffentlich nicht apokalyptische Zukunft sollten alle humanistisch gesinnten Menschen und Gemeinschaften ihre Kräfte von Denken, Fühlen und Wollen miteinander verbinden. Das bedeutet für die katholische und ökumenische Christenheit nicht einen Verzicht auf unverzichtbare Identität. Das öffnet nicht Tore und Wege zu Beliebigkeit, sondern ist ein Ausdruck von realistischer Zuversicht, Ausdruck eines realistischen Idealismus.

Ein Wort zum Schluss
Dieser Beitrag für das Buch „Das ganze Leben leben. Holt Euch das Alter zurück!“ … ist ein sehr autobiografischer Text geworden, teilweise auch so etwas wie eine Predigt. Lesern, die dies nicht erwartet haben oder sogar ablehnen, sage ich respektvoll: Dieser Text ist ein Glaubenszeugnis eines betagten Menschen, Christen und Bischofs, der davon überzeugt ist, dass die Christenheit sich inmitten der Menschheit gerade heute nicht verstecken muss und nicht verstecken darf, sondern im Gegenteil für das Ganze besonders wichtig ist.

„Schaut sie an, sie ist jünger als wir alle“, sagte Johannes Paul II. über Mutter Teresa. Bischof emer. Egon Kapellari erinnert mit diesem Satz an eine Begegnung am Weltjugendtag 1984 in Rom. | Foto: KNA
Bischof emer. Egon Kapellari hat einen sehr persönlichen Text verfasst für das Buch:
Walter Schippinger, Rudolf Likar, Georg Pinter: Das ganze Leben leben, Springer Verlag 2021, 27,99 Euro. | Foto: Neuhold
Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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