Lebensspuren - Fastenserie 2018 | Teil 01
Einfach leben

Andreas Knapp (rechts) mit Freunden in einer Wüstennacht. „Nicht das Vielerlei erfüllt uns, sondern das Eine, das in die Tiefe geht.“ | Foto: privat
  • Andreas Knapp (rechts) mit Freunden in einer Wüstennacht. „Nicht das Vielerlei erfüllt uns, sondern das Eine, das in die Tiefe geht.“
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Die Fastenzeit kann als Weg durch die Wüste verstanden werden – und helfen, zur ursprünglichen Freiheit zu finden.

Ein mit mir befreundetes Ehepaar fuhr mit den drei Kindern in den Urlaub. Kurz vor der Reise erzählte die Mutter, dass sie in eine Berghütte gehen werden, wo es keinen Strom und kein fließendes Wasser gibt. Spontan sagte der sechsjährige Timo: „Ist das die totale Freiheit?“

Vielleicht hatte der Bub gespürt, dass man ein Mehr an Freiheit erlebt, wenn man die gewohnte Bequemlichkeit zurücklässt. Eine Hütte nur mit Kerzen erleuchten und das Wasser aus einem Brunnen holen, das klang für ihn nach Abenteuer.

Man kann ein Stück ursprünglicher Freiheit spüren, wenn man sich aus den Netzwerken löst, die das Leben einfach und zugleich komplizierter machen: Stromnetz, Internet, Medien … Der Grafiker Otl Aicher fand für diese Erfahrung die geniale Formel: „minimierung der ansprüche ist optimierung der freiheit. reduktion ist gewinn.“

Die Angst, zu kurz zu kommen

Doch so einfach geht es nicht mit dem Einfach-Leben. Denn tief in uns steckt die Angst, zu kurz zu kommen. Wir fürchten uns vor Mangel, vor dem Hunger, vor dem Zuwenig. Das ist ja zunächst ein ganz natürliches und überlebensdienliches Gefühl.

Es braucht eine Basis-Absicherung, ein Grundeinkommen, eine gewisse Vorratswirtschaft, damit wir überleben können. Doch Leben ist mehr als Überleben. Was brauche ich wirklich zum Leben?

Das Bild der Wüste kann manches deutlich machen: Die Wüste zwingt zur Reduktion. Die Trockenheit duldet nichts Überflüssiges. Wer zuviel mitschleppt, wird nicht weit kommen. Hier wird deutlich, was wirklich wichtig ist. In diesem Sinn kann die Fastenzeit als Weg durch die Wüste verstanden und gelebt werden.

Die Wüste lehrt uns, das zum Leben Notwendige von den angelernten Bedürfnissen zu unterscheiden. Die Konsumgesellschaft funktioniert nur, wenn ständig Neues auf den Markt geworfen wird. Der Motor, der diese Wirtschaftsform am Laufen hält, wird durch die Produktion ständig neuer Wünsche angetrieben. Doch die Jagd nach dem stets Modischen, nach „immer besser“ und „immer mehr“ macht den Menschen atemlos. Manipuliert durch grellbunte Werbung und den neidischen Blick auf die anderen, funktioniert er als willfähriger Konsument, als Rädchen in einer gigantischen Wirtschafts-Maschinerie.

Freiheit erfahren

Die Wüste kann helfen, aus diesen Mechanismen – zumindest für eine Zeitlang – auszusteigen und eine ursprüngliche Freiheit zu erfahren. Fernab vom Strudel der Werbung und vom Trubel der Einkaufszentren kann ich aufatmen: Ich brauche jetzt ganz wenig. Ich muss nicht mehr nach Schnäppchen jagen oder die Börsennachrichten verfolgen. Geld nützt mir in der Wüste nicht viel, denn es gibt keine Shopping-Malls. Dafür gibt es so viel Schönes und Kostbares völlig kostenlos: das Licht, den Schlafplatz im Sand, das Wasser aus dem Brunnen.

Die Wüste bietet die Chance, sich von eingefahrenen Gewohnheiten zu befreien. Erstaunt stelle ich fest: Ich kann auch leben ohne Handy, Auto, Zeitung, Markenklamotten. Schon so viele Tage komme ich ohne Fernsehen aus – und bin immer noch nicht gestorben!

Geschmack am Leben finden

In der Wüste muss man mit leichtem Gepäck unterwegs sein. Alles Untragbare muss man zurücklassen, sonst wird es unerträglich. Das Wenige aber bekommt einen besonderen Glanz.

Ein gutes Paar Schuhe – was für ein Schatz! Ich freue mich über die einfachsten Dinge: über meinen Schlafsack, meine Zahnbürste, meine Sonnenbrille. Das Geheimnis der Wüste besteht darin, dass ich das Wenige umso intensiver erlebe. Nicht das Vielerlei erfüllt uns, sondern das Eine, das in die Tiefe geht. Nicht tausend Sensationen schenken uns Glück, sondern der Sinn für das Echte, das uns berührt. Wer lernt, das Wenige zu verkosten, der erfährt, wie köstlich ein Schluck kühlen Wassers aus einem Brunnen schmeckt.

Weise (lat.: sapiens) ist jemand, dem die Dinge schmecken (lat.: sapere), wie sie sind. Die Weisheit, die ich in der Wüste lernen kann: Ich kann wieder Geschmack am Leben finden. Wenn wir die Fastenzeit mit einem Weg durch die Wüste vergleichen, so könnte darin eine Einladung liegen, das Ein­fache wieder zu entdecken und schätzen zu lernen.

Was ich nicht brauche

Ich habe einige Jahre in Bolivien gelebt. Dort hatte ich einen recht guten Kontakt zu einem älteren deutschen Priester gefunden, der in einem abgelegenen Bergdorf viele Jahre als Missionar gelebt und gearbeitet hat. Einmal erzählte er mir, dass er so gerne die Werbung im Fernsehen anschaut, aber auch Werbeseiten in Zeitschriften genauer unter die Lupe nimmt.

Ich konnte das gar nicht verstehen, denn mir ist es wichtig, mich von der Konsum-Mentalität so gut wie möglich zu distanzieren. „Bringt dich das nicht durcheinander, wenn du so viele Angebote siehst?“ Padre Manfredo antwortete: „Im Gegenteil. Ich bin dann immer so glücklich, wenn ich sehe, was ich alles nicht brauche!“

Nicht tausend Sensationen schenken uns Glück, sondern der Sinn für das Echte, das uns berührt.


Werdet Vorübergehende

Schnitz dir einen Wanderstab aber zimmere dir keine Dachbalken.
Wozu eine Vorratstasche? Liebe empfängt man nicht aus Konserven. Hoffe auf frisches Brot unterwegs.
Du darfst Sandalen tragen, aber lerne auch barfuß zu gehen.
Zu viel Geld dabei beunruhigt, Sonne und Regen gibt es gratis.
Nimm ein zweites Hemd mit für das Fest und für das Grab.

Andreas Knapp
Aus: Weiter als der Horizont, Echter Verlag Würzburg

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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