Christentum - Ein Reiseführer | Etappe 074
Die innere Stimme

Zu den geistlichen Übungen eines Christen gehört die regelmäßige Erforschung des Gewissens, bei der man den Lauf seines Lebens und Glaubens selbstkritisch überdenkt. | Foto: Fotolia
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Das Gewissen

Es erscheint vielfach als eine „innere Stimme“ und „inneres Gericht“, welches auch auf unser Befinden Auswirkungen hat: Wir sind „reinen Gewissens“ oder haben ein „schlechtes Gewissen“. Wie sich ein Gewissen durch die Normvorstellungen der Erziehung und Gesellschaft prägt, ist eine ebenso interessante Frage wie die Aspekte, welche die Psychoanalyse zur Theorie des Gewissens beisteuert. Nach Sigmund Freuds Menschenbild ist das Gewissen die Summe des Über-Ichs, eine Instanz, in der fremde Autoritäten, vor allem jene der Eltern, in uns weiterleben und uns bestimmen. Andere Deutungen des Gewissens sehen im Gewissen den Kern der sittlichen Persönlichkeit. In der Aufklärungsphilosophie etwa ist das Gewissen das jeder Moral vorausgehende Prinzip.

Die Texte des Alten Testaments kennen kein eigenes Wort für „Gewissen“. Die ihm zugeschriebenen Fähigkeiten werden im Herzen bzw. in den Nieren lokalisiert. In ihnen ist der Ausgangspunkt für rechtes Handeln und Empfinden. So bittet König Salomo um ein „hörendes Herz“, um weise zu handeln, und König David „schlägt das Herz“. Das Neue Testament verwendet den griechischen Begriff „syneidesis“ (Mitwisser, Gewissen) häufiger. Paulus sieht in ihm eine natürliche Anlage, die auch die Heiden haben, die das Gesetz nicht kennen: „Das Ziel der Unterweisung ist Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.“– 1 Tim 1,5f.

Weil das Gewissen eine Erfahrung ist, die alle Menschen verbindet, und weil es grundlegende Forderungen (Tötungsverbot, Inzesttabu, Eigentum) über alle Zeiten und Kulturen hinweg gibt und gab, hat die Theologie das Gewissen als „Stimme Gottes“ interpretiert. Dieser Stimme ist der Mensch zu letztem Gehorsam verpflichtet, auch wenn sich sein Gewissen irrt und auch dann, wenn seine Entscheidung gegen staatliche und kirchliche Autorität verstößt. Die katholische Lehre vom Gewissen fand in dem englischen Kardinal John Henry Newman (1801–1890) eine bedeutende Fortschreibung. Newman formulierte: „Zuerst das Gewissen, dann der Papst.“ Zu den geistlichen Übungen des Christen gehört die regelmäßige Erforschung des Gewissens, bei der man den Verlauf des Lebens selbstkritisch überdenkt und in Frage stellt. Eine solche Erforschung kann einen festen Platz im Lauf des Tages haben (z. B. ein Rückblick am Abend) oder zu bestimmten Anlässen erfolgen.

Das Gewissen ist keine statische Anlage, sondern bedarf der Bildung und Erziehung. Die Entwicklungspsychologie hat wichtige Hinweise zum Erwerb moralischer Kompetenz gegeben. Zu einer angemessenen Gewissenserziehung und -bildung bedarf es verschiedener Faktoren: Das Vorbild der Eltern, Lehrer und Erzieher ist ebenso wichtig wie die Entwicklung von Wertorientierung durch Selbsterziehung und eine Sensibilisierung für ethische Möglichkeiten und Verantwortung. Dazu gehört auch ein angemessener Umgang mit Autoritäten, um Regeln anzuerkennen, die für die Basis des Zusammenlebens notwendig sind. Neben solchem Erlernen von Gehorsam ist aber auch der Erwerb von Einsicht in verantworteter Freiheit nötig.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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