Taizé: Einfach Leben | Teil 02
Die Freude am Verzeihen

„Gib mir zu trinken“, bittet Jesus – und wird selbst zu dem, der zu trinken gibt. | Foto: Sabine Leutenegger
  • „Gib mir zu trinken“, bittet Jesus – und wird selbst zu dem, der zu trinken gibt.
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Schauen. Sehen. Aufblicken. So verstehe ich den Aufruf von Frère Roger, Gottes Verzeihen zu betrachten. Jesus sagte: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ So will ich auf ihn schauen. Wenn ich ihn sehe, werde ich verstehen, was das Herz seines Vaters erfüllt. Als man Jesus über sein Verhalten den Sündern gegenüber befragt, weist er im 15. Kapitel des Lukas-evangeliums seine Gesprächspartner auf das hin, was sein Vater empfindet und fühlt. Auffallend ist, wie Jesus das Wort Freude betont: die Freude seines Vaters, welchen das Evangelium aber kaum nennt. Es spricht dafür von der Freude im Himmel oder der Freude der Engel. Keiner, der das Evangelium vernimmt, kann sich jedoch täuschen lassen: Es handelt sich sehr wohl um Gottes Freude.

Der Vater hat so große Freude am Verzeihen, weil er das Verlorene, das in seinen Augen unendlich wertvoll ist, wieder gefunden hat. Alle drei Gleichnisse in Lukas 15 handeln von einer menschlichen Reaktion, die jeder nachvollziehen kann. Wenn man das Verlorene wieder findet, freut man sich und teilt seine Freude mit andern. Jesus weiß, dass sein Vater nicht will, dass ein einziger verloren geht, und er ist gekommen, um diesen Willen zur Wirklichkeit zu machen. Dann wird verständlich, dass der Vater jubelt, als sein Blick zum Anfang seines Wirkens auf seinem Sohn ruht: „Siehe, hier ist mein geliebter Sohn, Ausdruck meiner ganzen Liebe.“

Wer das in Jesus offenbarte Verzeihen betrachtet, wird von der überwältigenden Demut Gottes ergriffen. Im Johannesevangelium ist die Vergebung die Gabe des Einen, der durstig und müde von der Reise an einem Brunnen sitzt und zuerst einmal bittet: „Gib mir zu trinken.“ Der samaritischen Frau ist unerklärlich, wie er kurz darauf derjenige ist, der Wasser anbietet. „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ Wie kann der, der bittet, auf einmal der sein, der anbietet? Wer die Antwort auf diese Frage findet, versteht den eigentlichen Durst Jesu: Er dürstet danach, der Gebende zu sein. Er hat Durst nach unserem Durst, denn wenn wir zugeben, dass wir Durst haben, kann er geben. Das Eingeständnis unseres Durstes löscht den Durst Christi, denn dadurch kann er endlich werden, was er für uns sein will: Gabe Gottes, Retter.

ZUR PERSON – FRÈRE EMILE
Der Autor dieses Beitrages, Frère Emile, wurde 1956 in Kanada geboren. Er lebt nun seit 30 Jahren in Taizé. Seine Aufgaben dort: Arbeit mit der Bibel in der Communauté und bei den Jugendtreffen.
Jedes Jahr bereitet er zusammen mit einer Gruppe von Brüdern das Europäische Jugendtreffen vor, das jeweils nach Weihnachten stattfindet.
Zum Sinn dieser Treffen und der Begegnungen in Taizé selbst sagt er: „Für uns geht es darum, die jungen Menschen anzuregen, bei sich zu Hause, in ihrer Stadt, ihrem Dorf, ihrer Pfarrei selber Friedensstifter und Träger von Versöhnung und Vertrauen zu werden.“

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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