Schön fürs Leben | Teil 03
Das Schöne macht den Menschen gesund

Heilsam: Sich etwas Schönes gönnen! | Foto: Neuhold

Die Spiritualität der Schönheit entspricht daher meinem Anliegen einer therapeutischen Spiritualität. Aber das Schöne zu betrachten ist ein anderer Weg der Heilung, als meine Probleme anzuschauen und zu bearbeiten. Ich überspringe die Verletzungen meiner Lebensgeschichte nicht. Ich nehme sie wahr. Aber ich gehe durch sie hindurch in den Grund meiner Seele, in dem ich nicht nur der Stille und dem Geheimnis begegne, sondern auch der Schönheit meiner Seele und der Schönheit Gottes, die sich in dem inneren Licht spiegelt, von dem Evagrius Ponticus schreibt.

Für Evagrius ist das Ziel des geistlichen Weges, dieses innere Licht in sich wahrzunehmen. Es ist letztlich ein Wahrnehmen der inneren Schönheit. Und das ist, so sagt Evagrius, für den Menschen heilsam. Denn für ihn wird der Mensch nicht allein durch den Umgang mit seinen Leidenschaften gesund – das ist für ihn der asketische Weg –, sondern durch die Kontemplation – das wäre das Schauen der Schönheit um uns und in uns. „Die kontemplative Erkenntnis ist Nahrung für die Seele, denn sie allein verbindet uns mit den heiligen Mächten“ (Evagrius, Praktikos 56). Die Kontemplation des Schönen führt nach Evagrius zur Gesundheit der Seele. Das Schöne macht den Menschen gesund. Oder wie Dostojewski sagt: „Schönheit wird die Welt retten, wird die Welt heilen.“ Der Teufel und das Böse werden in der Tradition immer als hässlich dargestellt. Die Dämonen haben hässliche Fratzen. Das Gute ist immer auch schön. Und indem wir das Schöne in uns aufnehmen, kommt unsere Seele mit ihrem eigenen Wesen in Berührung, mit ihrer inneren Schönheit. Und diese Schönheit ist immer heilend.

In den letzten Jahren hat die Psychologie neu die heilende Kraft des Schönen entdeckt. Da legt man Wert darauf, die Therapieräume schön zu gestalten. Da lädt man Klienten ein, schöne Musik zu hören. Und sie werden dazu angeregt, selbst Schönes zu gestalten. Indem sie aus dem Material, das ihnen vorgegeben wird – ein Stein, ein Klumpen Ton, ein Stück Holz, ein Blatt Papier und Malstifte –, etwas Schönes schaffen, verwandeln sie das Harte, Rohe, Chaotische, Kranke in sich in etwas Schönes. Das wirkt heilend auf das Kranke in der Seele. Immer wieder erzählen mir Menschen, dass sie sich hier und da etwas Schönes gönnen. Sie schauen sich eine schöne Stadt an, die Kirchen, die Museen. Und sie haben den Eindruck, dass es ihrer Seele guttut. Sie fühlen sich innerlich erfrischt. Es geht etwas Heilendes von der Schönheit der Bauten und Bilder aus.

Ein Mitbruder von mir genießt schöne Gärten. Wenn er durch einen schön angelegten Garten geht, dann blüht etwas in seiner Seele auf. Die Seele wird gereinigt und klar. Manche meinen, das sei reine Ästhetik. Aber wenn ich mich mit ganzer Seele der Schönheit öffne, dann ist das Spiritualität. Denn dann berührt und reinigt und heilt mich Gott selbst als die Urschönheit in allem Schönen.

Aus: Anselm Grün, Schönheit. Eine neue Spiritualität der Lebensfreude, Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag 2014

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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