Schön fürs Leben | Teil 01
Das Genießen ist für Jesus der Weg zu Gott

Genießen: Warum nicht Schneeflocken?  | Foto: BilderBox.com

Für den russischen Dichter Dostojewski hängt die Schönheit mit der sechsten Seligpreisung Jesu zusammen: Selig die reinen Herzens sind, sie werden Gott schauen (Mt 5,8). Ich werde das Schöne nicht erkennen, wenn ich alles mit gierigen Augen anschaue. Es braucht das reine Auge, das die Natur sein lässt, wie sie ist, das die Menschen sein lässt, wie sie sind. Wir beurteilen den Menschen nach irgendwelchen äußeren Schönheitsidealen. Es braucht das reine Herz, das den anderen anschaut, ohne etwas von ihm zu wollen, ohne ihn zu bewerten. Dann erkenne ich in ihm die Schönheit. Man könnte auch sagen: Es sind Augen des Glaubens, die das Schöne im Menschen sehen und das Schöne in der Natur bestaunen.

Wir müssen wieder neu lernen, zu schauen ohne irgendwelche Nebenabsichten, zu betrachten und zu bestaunen, anstatt alles auf den eigenen Nutzen zu beziehen. Es ist ein Schauen, in dem wir uns selbst vergessen. Und indem wir uns selbst vergessen, sind wir ganz wir selbst, sind wir ganz im Augenblick.

Genießen bezieht sich sowohl auf das Sehen als auch auf das Hören und das Schmecken. Der Genuss war im Christentum lange Zeit verpönt. Allein Clemens von Alexandrien hat den Genuss positiver gesehen. Er war Grieche und hat Askese als Übung in die innere Freiheit verstanden. Und zu dieser Askese gehört auch die Einübung in das wahre Genießen. Denn genießen kann nur, wer auch zu verzichten vermag. Die Fähigkeit zu genießen hängt daran, dass ich eine Grenze setze, dass ich nicht maßlos etwas in mich aufnehme, sondern stehen bleibe bei dem einen Blick, bei dem einen Schluck Wein, bei diesem Ton, der jetzt in mich eindringt.

Jesus steht für diese Spiritualität des Genießens. Doch er macht in seinem Leben die schmerzliche Erfahrung, dass seine Spiritualität nicht verstanden wird. Die Leute haben sich nicht darauf eingelassen, ebenso wenig wie auf die asketische Spiritualität Johannes des Täufers. Jesus beklagt sich: Johannes der Täufer ist gekommen, er isst kein Brot und trinkt keinen Wein, und ihr sagt: Er ist von einem Dämon besessen. Der Menschensohn ist gekommen, er isst und trinkt; darauf sagt ihr: Dieser Fresser und Säufer, dieser Freund der Zöllner und Sünder! (Lk 7,33–35).

Jesus trinkt voller Dankbarkeit den Wein, den Gott dem Menschen geschenkt hat. Und er zeigt damit den Sündern und Zöllnern, die sich an diesen Geschenken Gottes erfreuen und sie genießen, einen Weg der Umkehr: einen Weg, diese guten Gaben in Dankbarkeit von Gott anzunehmen. Das Genießen ist für Jesus der Weg zu Gott, der Weg, der in die Liebe Gottes hineinführt. Die Pharisäer, die sowohl Johannes als auch Jesus abgelehnt haben, schneiden sich mit ihrer Spiritualität vom Leben ab. Jesu Spiritualität des Genießens öffnet auch den weniger frommen Menschen für Gott und lässt ihn das Geheimnis Gottes erahnen.

 

Aus: Anselm Grün, Schönheit. Eine neue Spiritualität der Lebensfreude, Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag 2014

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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