Abenteuer Gottesglaube | Teil 04
Babanuza – Gottes kleiner Schmetterling
So hieß das Dorf Hosman bei den Siebenbürger Sachsen, die hier bis vor wenigen Jahren die großen Höfe bewirtschafteten und ein gutes Leben führten, reich an Tradition und Kultur. Jetzt sind sie alle ausgewandert in den Westen. Hier geblieben sind ihre Häuser, die Kirche – und die Zigeuner. Jeder Sachsenhof hatte seinen „Hauszigeuner“ als Knecht. Heute wohnen in den verlassenen Sachsenhöfen in Hosman Rumänen, und um das Dorf bildet sich ein Ghetto der Zigeunerfamilien, zu drei Viertel der Bevölkerung sind sie angewachsen.[/p]
Mit drei Jahren verlassen. In rosa Jeans und buntem Hemdchen hüpft Babanuza die Straße herunter, sie hat zwei große Wassereimer mit. Sie setzt sich auf die Bank. „Ich muss Wasser holen, wir putzen heute das Haus. Vielleicht kommt die Großmutter diese Woche zurück.“ Von der anderen Seite kommt Ika, sie hat ihre Zöpfe mit roten Maschen zusammengebunden, ihr wunderschöner roter Rock weht im Wind. „Ika ist für mich wie eine große Schwester, sie hat mich oft im Arm gehalten, als ich klein war“, erzählt Babanuza.
Weil ihre Mutter sie mit drei Jahren verlassen hat und der Vater dann auch wegging, kümmerte sich die Großmutter um Babanuza. Sie wurde in der großen Familie behütet, die Großeltern, der Onkel, die Tante, die Nachbarn und Ika schauten auf das kleine Kind. „Ich brauche meine Mutter nicht. Ich habe meine Großmutter und viele Freunde. Alle Mädchen werden schon nach der Geburt einem Mann versprochen. Ich bin froh, dass meine Eltern weg sind, so bleibt mir das erspart, und ich suche mir selber meinen Mann, später.“
Am Brunnen. Sie zwinkert mir zu. Ich gehe mit Babanuza zum Brunnen. Wir warten, bis die Plastikeimer voll sind, und schleppen sie dann zum Haus der Großmutter. Im Hof spazieren ein paar Hühner herum, der Hund schreckt sie immer wieder auf. Ein Schwein schaut durch die Löcher aus dem kleinen Verschlag, viel kann es sich nicht bewegen. Der Onkel und ein Freund hacken Holz fürs Kochen, im Haus sitzt eine Kusine mit ihrem kleinen Baby. Die Großmutter ist seit einigen Wochen auswärts, Kinder hüten. Im Austausch sind zwei kleine Burschen da, in den Ferien.
In dem Häuschen, aus Lehm gebaut, wohnen in zwei Räumen 13 Leute. Wie in allen Häusern hier sind die Wände behängt mit riesigen glänzenden Teppichen: Jesus, der gute Hirte, hütet die Schafe – und gegenüber: Jesus betet am Ölberg, mit verzweifeltem Blick nach oben. Diese Motive beherrschen den Raum. So viel Armut ist, so viel Frömmigkeit finde ich überall.
Offene Türen überall. Fröhlichkeit und offene Türen, alle können ein und aus gehen. Wir stellen das Wasser neben den kleinen Ofen. Geputzt wird jetzt nicht. Denn Babanuza hat Wichtigeres vor. Sie nimmt von der Holzbank ein Heft und packt mich an der Hand: „Schnell, wir kommen sonst zu spät.“
Obwohl es sehr heiß ist, laufen wir bis zum Dorfende. „Jetzt ist Versammlung bei der Gemeinde. Sie heißen die Pocaiti (Bekehrte). Es kommen Fremde, sie bringen viele Sachen mit und erzählen aus Amerika. Wir singen und beten. Und komm herein in den Saal – da ist es super, sie haben Geräte, mit denen wird es wie im Kühlschrank.“
Babanuza stürmt nach vorne und ist mitten unter den Kindern, singt und lacht und schreibt das neue Lied in ihr Heft. „Bei ihnen habe ich gelernt, wie ich beten kann. Wenn ich traurig bin, dann knie ich nieder, mache die Augen zu und bete. Dann spüre ich eine Kraft, und es geht mir wieder gut.“
Mit ihren Freundinnen kommt sie zwei Stunden später aus dem kühlen Gemeindesaal, sie essen ihr Sandwich, das sie am Ausgang bekommen haben, und wir spazieren durch das Dorf.
Zum Pferdemarkt. Am nächsten Tag ist im Nachbardorf Pferdemarkt. Die Mädchen kichern und schnattern, ich verstehe nicht viel, denn jetzt reden sie Romanes. Als wir vor ihrem Haus ankommen, erwartet sie schon die Kusine. Sie hat inzwischen die kleine Hütte geputzt und hängt im Hof die Röcke auf. Das Gesicht von Babanuza verfinstert sich. Es gibt einen Streit, und Babanuza stampft wütend aus dem Hof hinunter zum Bach.
„Meine Kusine sagt, ich darf nicht mit zum Pferdemarkt, wenn ich mich nicht wie alle Mädchen anziehe: Rock und Zöpfe. Ich will lieber meine Hose und das T-Shirt anziehen, so wie ihr aus Österreich auch angezogen seid.“ Aber sie hat schon aufgegeben, sie weiß, dass sie sich an die Regeln halten muss, sonst ist sie in der Verwandtschaft nicht anerkannt.
Auch Mädchen können trommeln. Sie begleitet mich nach Hause. Dort setzen wir uns wieder auf unsere Bank. „Das Schönste ist für mich das Trommeln. Ich habe es bei euch gelernt und möchte allen im Dorf zeigen, dass auch ein Mädchen trommeln kann.“ Sie schlägt kurz mit den flachen Händen ein paar Takte auf die Bank. Ihre zarten Finger sind schnell und geschickt. Weil sie auch mit Geigenunterricht in unserer Musikschule begonnen hat, muss sie jetzt aber ihre linke Hand schonen. „Bald werden wir ein Konzert im Dorf geben, auch für die Rumänen, damit sie wieder hören, dass wir gute Musik machen.“
Dann springt Babanuza auf, sie muss nach Hause, für die zwei Buben, die zu Gast sind, ein Abendessen herrichten. Ob ich morgen mitkomme zum Pferdemarkt, sie leiht mir vom Onkel einen schwarzen Hut, damit die Kusine zufrieden ist. Dann flattert sie davon. Wie ein Schmetterling. Das heißt auf Romanes Babanuza.
In einer fremden Welt. Ich versuche, in diese fremde Welt hineinzuleben. Niemand braucht hier Ratschläge oder Analysen. Auch wenn alle Geld wollen und die materielle Not groß ist, wie ist die Antwort auf ihr unbefangenes Entgegenkommen? Wird es zum Austausch auf gleicher Augenhöhe kommen? Sie leben in einer bunten und fremden Welt. Doch ich spüre, sie sind stark. Babanuza ist eine unglaubliche Persönlichkeit mit Ausstrahlung, Leichtigkeit und Tiefe. „Geld sind die Augen des Teufels“, sagt sie, „man kann sich nie ganz darüber freuen, denn es verschwindet sofort wieder.“ Oder: „Liebe spüre ich, wenn jemand neben mir ist, den ich mag. Durch ihn spüre ich, dass Gott mich liebt.“
Während ich mit meinem Kopf darüber philosophiere, nimmt sie mich bei der Hand und sagt: „Komm zu uns, heute ist Maria mit ihrem neugeborenen Kind nach Hause gekommen.“
Der liebe Gott. Die Kinder singen gerne das Lied „Suntem o familie unita – wir sind vereint in einer Familie“. Dann stelle ich den Kindern die Frage, die sie schon kennen, vor allem, wenn Kinder ohne Eltern dabei sind: „Wer hat unsere Familie gestiftet?“ Schnell und ohne Zweifel kommt die Antwort: „Der liebe Gott.“ Ja, Gott selbst hat uns zusammengeführt, mir diese große Aufgabe gegeben mit allen Abenteuern. Ich habe Freunde, kleine und große, die so anders sind als ich.
P. Georg Sporschill
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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