Religion am Ball. Fußballleuropameisterschaft 2016 | Teil 05
Alles ist nun Fußball

Konzentration und Begeisterung. Eine kleine Auszeit von den Alltagssorgen und -querelen finden auch Zuschauer bei Sportereignissen. Punktuell. | Foto: Fotolia
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Fußball, das ist für viele Menschen „das Leben selbst“. Ihr Fan-Dasein kennt kaum Grenzen. So durfte die Tochter des Werbechefs des Fußballclubs Schalke 04 nur nach Spielplan des Vereines heiraten. Ansonsten, wusste sie, würde der Vater sie nicht zum Altar führen können. „Einige Leute halten Fußball für eine Frage von Leben und Tod“, sagte einst der Liverpool-Trainer Bill Shankly. Und weiter: „Ich bin von dieser Einstellung sehr enttäuscht. Ich versichere Ihnen, dass es viel, viel wichtiger als das ist.“

Bill Shankly meinte nach dem Triumph seiner Mannschaft über den „Erzrivalen“ Everton auch: „Dieses Spiel hätte ich um nichts in der Welt versäumt. Selbst wenn ich tot wäre, hätte ich dafür gesorgt, dass man meinen Sarg ins Stadion bringt, auf die Tribüne stellt und ein Loch in den Deckel schneidet.“

In einem Interview meinte Fußball-Pfarrer Hans Joachim Dohm vor einiger Zeit, es sei durchaus lobenswert, wenn man einem Sterbenden den letzten Wunsch, nämlich ein Spiel seiner Mannschaft sehen zu können, ermögliche. Zugleich zeige es jedoch auch die Begrenztheit des Sports, der Wunsch sei gleichzusetzen mit jedem anderen Wunsch eines Sterbenden. Pfarrer Dohm meinte zu Recht, die Erfüllung verlängere weder das Leben, noch führe die Betrachtung des „letzten Spiels“ zur Erlösung.

Fußball und Religion, das zeigten täglich viele Berichte während dieser EM bereits, haben eine Unmenge von Schnittstellen. Vieles gilt hier wie dort. Dennoch ist es getrennt zu betrachten. Pfarrer Dohm betonte auch, es sei gefährlich, wenn der Fußball über allem stehe – über der Familie, über den Kindern, über der Ehe. Ein Sieg bleibe stets ein punktuelles Ereignis. Und auch das, meine ich, zeigt die EM: Die ausgeschiedene Mannschaft ist sofort „kein Faktor“ mehr.

Fußball als Analogie auf unseren Glauben darf sein, er wirkt lebensbejahend, aufbauend, lindernd und ist enorm wichtig geworden. Beigebracht hat mir den „Glauben“ an diesen schönen Sport mein Sohn, ohne den ich wahrscheinlich bis heute niemals ein Spiel in voller Länge betrachtet hätte. Fußball kommt vielleicht sogar dem Gefühl der „Erlösung“ nahe: Vieles nämlich wird relativ, sofern wir uns beispielsweise momentan der EM hingeben. Wir – kollektiv – sind in dieser Zeit erlöst von sonstigen Querelen, die uns trennen und die – das bemerken wir in dieser Zeit sehr oft – nichts bringen außer Unmut und Missgunst. Fußball erlöst uns vom Streit über Nebensächlichkeiten. Weil wir streiten können über die wichtigste Nebensache der Welt: Fußball eben.

Die Aufgabe christlicher Seelsorge beginne dort, schreibt Dennis Storck in „Religion und Fußball“, wo der Fußball zu einer dämonischen Macht werde, wenn er Platzhalter für das werde, was im Leben eines Menschen wichtig sei, indem er alles übersteige, was das Leben eines Menschen erst lebenswert mache. Gemeint sind Freunde, Familie, Gesundheit, vielleicht auch Zerstreuungen abseits des grünen Rasens – der Besuch einer Buschenschank, der Samstagnachmittag im Stadtpark, eine Radtour.

 

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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