APROPOS Jesus | 60 Fragen - 60 Antworten
34. War Jesus glücklich?
„Sorgt euch nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.“ (Mt 6,34)
Stell dir vor, du könntest schon morgen früh all deine drückenden Alltagssorgen und Verpflichtungen hinter dir lassen und dich mit deinen Freunden auf Wanderschaft begeben. Kein Gepäck, kein Ballast, kein Druck. Nur der Duft des Morgens, ein wärmender Sonnenaufgang und der zuversichtliche Blick deines besten Freundes, der verspricht: „Alles ist gut. Das wird eine gute Sache!“ – Neben erbaulichen Gesprächen über die heilende Kraft des Glaubens lernt ihr schon bald neue Orte und interessante Menschen kennen. Hand aufs Herz – was gibt es Besseres?
So wird es Jesus und seinen Jüngern und Jüngerinnen ergangen sein! Freilich gehört eine große Portion Mut dazu, wenn man sich völlig mittellos auf den Weg macht (vgl. Mt 10,9f. par.) und sich auf die Gastfreundschaft anderer verlassen muss. Aber Jesus ist weder kopflos noch blauäugig und weiß um die besondere Situation: „Wenn ihr in eine Stadt oder in ein Dorf kommt, erkundigt euch, wer es wert [= geeignet] ist, euch aufzunehmen; bei ihm bleibt, bis ihr den Ort wieder verlasst.“ (Mt 10,11 par.) – Ein solches Leben birgt natürlich auch seine Unsicherheiten und Herausforderungen in sich. Das ist der Preis der Freiheit.
Man muss bedenken, dass Jesus und seine Anhängerschaft bis dato in wirtschaftlich sicheren und geordneten Verhältnissen gelebt haben. Nun mussten sie sich an eine neue Ordnung, die der Reich-Gottes-Botschaft entspricht, gewöhnen: Ihr „Lifestyle“ war Ausdruck dieses großen Vertrauens. Sie leben, was sie predigen. Das macht sie authentisch, vertrauens- und glaubwürdig – und im Letzten bestimmt auch glücklich.
Glück und Leben in Fülle bedeuten, das Negative ebenso wie das Positive gut in die eigene Lebensrealität integrieren zu lernen. Freilich werden die Jünger und Jüngerinnen auch öfter genörgelt haben. Bestimmt haben sie sich an manchen Tagen das sichere Leben von einst zurückgewünscht. Aber Jesus bestärkte sie schon zu Beginn ihres Aufbruchs: „Macht euch keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? […] Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6,31–33 par.)
Glücklich ist, wer frei ist für das Wesentliche. Auf dem letzten Abschnitt seiner „Reise“, auf dem Weg nach Jerusalem, macht Jesus das mehrfach deutlich. Er spricht über die (eigene?) „Eheunfähigkeit um des Himmelreiches willen“ (Mt 19,12) – ein wahrer Schocker im zeitgenössischen Judentum (vgl. Gen 1,28: „Pflichtgebot“ des Kinderzeugens). An anderer Stelle irritiert er einen „reichen Jüngling“ (vgl. Mt 19,16–22). Dieser fragt ihn: „Meister, was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Jesu Antwort, nachdem er auf die üblichen Gebote hingewiesen hat: „Wenn du vollkommen [frei und glücklich] sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach.“ Wenn der reiche junge Mann dann traurig seine Wege geht, weil er zu sehr an seinem Vermögen hängt und zu diesem unkonventionellen Schritt nicht bereit ist, wird klar: Mut kann man nicht kaufen. Freiheit, Glück und Lebensfreude schon gar nicht.
Zur Überzeugung, dass Jesus glücklich war, gelangte auch die evangelische Theologin Dorothe Sölle und formulierte es so: „Ich halte Jesus von Nazareth für den glücklichsten Menschen, der je gelebt hat. […] Phantasie, die aus Glück geboren wird, scheint mir eine genauere Beschreibung seines Lebens.“ (in: Phantasie und Gehorsam, 12. Aufl. 1988, 63)
Irene Maria Unger
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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