APROPOS Jesus | 60 Fragen - 60 Antworten
31. Hat Jesus auch gesündigt?

Die Antwort hängt davon ab, was man unter „Sünde“ versteht. Ja, Jesus hat manchmal religiöse und gesellschaftliche Normen seiner Zeit übertreten. Er ist Konflikten nicht ausgewichen und konnte auch provozieren. Seine religiösen Gegner haben ihn deshalb nicht nur für einen Sünder, sondern – viel schlimmer – für einen Gotteslästerer (vgl. Mk 2,7) und Komplizen des Teufels (vgl. Mk 3,22) gehalten.

Aber ist die Übertretung einer Norm immer Sünde?

Sündigen im christlich-moralischen Sinn bedeutet: egoistisch denken und handeln, gewissenlos das Wohl der anderen missachten, andere ausnützen und ausbeuten. Wer auf diese Weise lieblos handelt, vor allem gegenüber Armen und Benachteiligten, verstößt klar gegen den Willen Gottes.

Im Judentum ist das maßgebliche Regelwerk für gottgefälliges Handeln die Tora („Gesetz des Mose“). Sie enthält hunderte kultische und ethische Gebote, die die Gesetzeslehrer zur Zeit Jesu durch weitere detaillierte Zusatzgebote „ergänzen“. Als einer der Schriftgelehrten Jesus fragt: „Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?“, antwortet Jesus: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ (Mt 22,35–40) Die Liebe zu Gott befreit von Götzen und relativiert alle menschlichen Autoritäten und Abhängigkeiten. Nichts und niemand darf sich als Gott aufspielen! Die Liebe zum Nächsten, die sich an der gesunden Selbstliebe orientiert, ermöglicht ein gutes Miteinander. Daran – so Jesus – entscheidet sich, was moralisch gut ist und was nicht. Der hl. Augustinus (ⴕ 430 n. Chr.) bringt es später so auf den Punkt: „Liebe – und tu, was du willst.“

Als einmal jemand Jesus mit „Guter Meister“ anredet, bekommt er zur Antwort: „Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer der eine Gott.“ (Mk 10,18). Freilich zeigen schon die ältesten Quellen, dass Jesus sich in einer besonders innigen Beziehung zu diesem Gott weiß. Er nennt ihn voll Liebe Abba (aramäisches Kosewort für Vater, vgl. Mk 14,36). Und es ist nichts, was ihn im Innersten von seinem Abba trennt. Aus dieser Liebe heraus, die ihm große innere Freiheit ermöglicht, lebt er sein Leben mit den Menschen. Aus dieser Liebe heraus arbeitet und feiert, lehrt und heilt er. Er kann herzlose Menschen hart kritisieren, aber er kann auch verzeihen, sogar denen, die für seine Hinrichtung sorgen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34)

Die Versuchung zum Bösen ist Jesus nicht fremd und auch er muss als Mensch das Hinhören auf Gottes Willen (die Bibel nennt das „Gehorsam“) immer besser lernen (vgl. Hebr 5,8).

Aber gab es in ihm auch Sünde im Sinne einer Trennung oder Abwendung von Gott? Der christliche Verfasser des Hebräerbriefes, der einige Jahrzehnte nach Jesu Tod darüber nachdenkt, kommt zu dieser Einsicht: Wir Menschen haben in Jesus keinen Gott-Vermittler, „der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebr 4,15).

Karl Veitschegger

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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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