APROPOS Jesus | 60 Fragen - 60 Antworten
29. Wäre Jesus ein Freund der LGBTIQ*-Community?

Jesus hatte Jünger und Jüngerinnen. In den Kreis der „Zwölf“ berief er nur Männer. Das hat einen besonderen Grund: Diese Männer repräsentierten die zwölf Stämme bzw. Stammväter Israels. Ob sie homo-, hetero- oder bisexuell waren, wissen wir freilich nicht. War das für die „Mission“ Jesu aber wirklich von Relevanz?

Jesus forderte von denen, die ihm unmittelbar nachfolgten und die er zur Verkündigung in die Dörfer Galiläas aussandte, nur ein ungeteiltes Herz für Gott und Mittellosigkeit. Außer einem Wanderstab durften sie nicht viel bei sich haben, jedenfalls „kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen“ (Mk 6,8f.). Wenn verheiratete Männer Jesus folgten, dann kamen – so einige Bibeltheologen und -theologinnen – auch deren Frauen mit. Nur Lukas spricht auch vom (wohl vorübergehenden) Verlassen der Frauen (vgl. Lk 14,26). Sicher waren auch unverheiratete Frauen mit dabei. Viele, die womöglich auch einen sanften Rückzug aus der klar festgelegten Gesellschaft mit binärer Geschlechterordnung suchten, konnten das in Jesu Nachfolge problemlos tun.

Schwer vorstellbar, dass der Menschenfreund Jesus eine Person aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Neigung verurteilt haben könnte. Wieso auch? – Von engen gleichgeschlechtlichen Beziehungen ist ja schon im Alten Testament die Rede: Jonatan und David waren sich beispielsweise sehr nahe. So liest man in der Bibel, „Jonatan schloss mit David einen Bund, weil er ihn wie sein eigenes Leben liebte. […] Auch küssten sie einander und beide weinten, am heftigsten aber David.“ (1 Sam 18,3; 20,41) Ob es mehr als eine „Bromance“, also eine intensive (asexuelle) Männerfreundschaft war? – Gut möglich. Sind Davids letzte Worte an Jonatan doch: „Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen.“ (2 Sam 1,26) – Ein berühmtes Beispiel für eine tragfähige Frauenbeziehung ist jene der Rut mit ihrer Schwiegermutter Noomi: „Dränge mich nicht, dich zu verlassen und umzukehren! Wohin du gehst, dahin gehe ich auch, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. […] Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. […] nur der Tod wird mich von dir scheiden.“ (Rut 1,16f.) Die Liebe war auf jeden Fall echt (vgl. Rut 4,15).

Im Neuen Testament bittet ein römischer Hauptmann aus Kafarnaum Jesus innig darum, er möge seinen Diener, „den er sehr schätzte“ (Lk 7,2), heilen. Für römische Vorgesetzte war es nicht ungewöhnlich, eine erotische Beziehung zu einem „Diener“ zu unterhalten: Im Matthäusevangelium findet man das mehrdeutige griechische Wort pais für Diener, das auch „Schützling“ oder „Knabe“ heißen kann. Jesus kommt der Bitte des Hauptmanns jedenfalls nach und heilt den Jungen.
Ob Jesus ein Freund der heutigen LGBTIQ*-Community wäre? – Gute Frage! Beim Thema „Ehe(scheidung)“ bezieht er sich auf den Schöpfungsbericht, der das im Judentum klassische binäre heteronormative Modell wiedergibt: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie am Anfang männlich und weiblich erschaffen hat und […] die zwei werden ein Fleisch sein.“ (Mt 19,4f.) – Zur gleichgeschlechtlichen Liebe und Partnerschaft haben wir kein Wort Jesu. Er wurde dazu auch nicht befragt. Es lässt sich daher nur spekulieren, was er heute, im Jahr 2023, zu diesem aktuellen Thema sagen würde.

Auch wenn Jesus selbst nie auf einer Pride-Parade war, wird er dort Jahr für Jahr gleichsam als „Stargast“ gefeiert: Sticker mit „Liebt einander“-Schriftzug auf Regenbogengrund oder humorig-freche Sprüche wie „Jesus had two dads and he turned out okay!“ oder „Maybe Jesus was gay? Ah, men!“ sind keine Seltenheit.
Vielleicht würde uns seine Offenheit überraschen.

Irene Maria Unger

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Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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