APROPOS Jesus | 60 Fragen - 60 Antworten
2. Was war zur Zeit Jesu in Palästina politisch und sozial los?

Zur Zeit, als Jesus geboren wird, bestimmen die Römer das politische Geschehen in den Ländern rund um das Mittelmeer und weit darüber hinaus. In der Region Palästina lassen sie ihren Günstling Herodes, einen gerissenen und grausamen Politiker, als „König von Judäa“ regieren. Sein Herrschaftsgebiet umfasst das heutige Israel und Palästina mit Teilen Jordaniens und Syriens. Zu seinen großen kulturellen Leistungen zählt der prachtvolle Ausbau des Tempels in Jerusalem. Dort verehren Juden und Jüdinnen aus aller Welt den „einen und einzigen Gott“. Die Tora, das „Gesetz des Mose“, verpflichtet jüdische Männer, dreimal im Jahr zum „Haus Gottes“ zu pilgern. An großen Feiertagen ist also in Jerusalem ziemlich viel los. Herbergen und Tempelhändler haben Hochbetrieb. Neuigkeiten aus aller Welt werden ausgetauscht. Jerusalem ist eine Stadt auf der Höhe der Zeit, eine Stadt, die man kennt.

Nach dem Tod des Herodes (4 v. Chr.) teilen die Römer sein Herrschaftsgebiet unter seine Söhne auf. Galiläa, die Region westlich vom fischreichen See Gennesaret, fällt an Herodes Antipas. Dort liegt auch ein damals noch unbedeutendes Dorf namens Nazaret (GPS: 32.702, 35.298). Es leben dort vielleicht an die 300 Menschen. Die Wohnstätten gleichen – das zeigen archäologische Funde – denen in anderen Dörfern des Landes: Ein bis zwei Räume, manchmal teilweise in den Felsen gebaut, mit Kochstelle, Regenwasserzisterne usw., müssen für eine zehnköpfige oder auch größere Familie reichen. Viel Leben spielt sich daher auf der Straße ab.

Das für die Römer wichtigere Judäa, das Kernland um Jerusalem, wird von ihnen schon bald (ab 6 n. Chr.) direkt durch römische Präfekten (Statthalter) verwaltet. Der bekannteste von ihnen ist Pontius Pilatus (26–36 n. Chr.).

Die jüdische Bevölkerung Galiläas und Judäas setzt sich damals großteils aus Kleinbauern, Viehzüchtern, Fischern, Handwerkern, Händlern und Tagelöhnern zusammen. Die Mittelschicht lebt in bescheidenem Wohlstand, aber es gibt auch das, was man Hungerleider nennt. Manche sind verschuldet und Armut macht viele krank. Bettler sitzen am Wegrand, sie sind blind oder haben andere Behinderungen. Seelisch Zerrüttete schreien als „Besessene“ durch die Straßen. (Der Dämonenglaube erlebt gerade eine Hochblüte, nicht nur im jüdischen Volk, sondern auch in der griechisch-römischen Welt.) Aussätzige müssen außerhalb der Dörfer in Höhlen und miesen Unterkünften von Almosen leben. Freilich gibt es auch sehr Wohlhabende, manche halten sich Sklaven und leben im Luxus.

Das Einheben der verhassten Steuern und Zölle besorgen die Römer nicht selbst, sondern sie verpachten diese Aufgabe an Einheimische (Zollpächter, „Zöllner“), die daraus für sich ein lukratives Geschäft machen können, indem sie weit mehr eintreiben, als erforderlich ist. Korruption liegt auf der Hand. In Galiläa hat Herodes Antipas seine „Zöllner“, die ähnlich arbeiten. Der Zusammenhalt in den Familien ist für die Bewältigung des Alltags wichtig. Männer haben das Sagen. Frauen „gehören“ mit ihren Kindern den Ehemännern. Nur der Mann hat das Recht auf Scheidung, und es reicht oft ein harmloser Grund, um die Frau zu „entlassen“ und sie so in eine sozial schwierige Situation zu bringen.

Bildung wird geschätzt, Schriftgelehrte sind angesehen. Hebräisch, die Sprache der Tora und des Kultes, wird vor allem im Tempel und in den Synagogen verwendet. Im Alltag spricht man Aramäisch und auch einfaches Griechisch, um sich mit den Vertretern der Besatzungsmacht und den „Heiden“ im Land verständigen zu können. Zumindest Männer können oft lesen und schreiben.

In dieser Gesellschaft wächst auch Jesus als Kind einer jüdischen Handwerkerfamilie auf und lebt zunächst unauffällig, ehe er öffentlich auftritt, ein besonderes Interesse an den Armen und Außenseitern zeigt, Kranke heilt und mit einer „neuen Lehre“ (Mk 1,27) viele überrascht. Manche halten ihn für einen gefährlichen religiösen und politischen Rebellen.

Karl Veitschegger

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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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