Architekturpreis
Gesten in der Zeit
Kirchliche Architektur ausgezeichnet. Der alle zwei Jahre vom Land Steiermark vergebene Architekturpreis für qualitätsvolle zeitgenössische Architektur ging 2019 an ein kirchliches Projekt. Die Auswahl erfolgte durch den international anerkannten Experten und in London lebenden Architekturtheoretiker und Publizisten Phineas Harper.
Phineas Harper steht im internationalen Architekturdiskurs für einen neuen Ansatz ökologischen Bauens. Er hat mit dem Siegerprojekt „Basilika und Geistliches Haus Mariazell“ und den beiden speziellen Erwähnungen „Peterskirche Stift St. Lam-brecht“ und „Portalgestaltung Wolfgangikirche“ aus ingesamt 58 ganz unterschiedlichen Einreichungen drei kirchliche Projekte ausgewählt. Gertraud Schaller-Pressler und Alois Kölbl haben mit ihm über die Kriterien seiner Auswahl gesprochen und darüber, was man von kirchlichen Bauten in der profanen Architektur lernen könnte.
Wir nehmen an, Sie sind schon öfter gefragt worden, warum Sie aus den vielen eingereichten Projekten ausgerechnet drei kirchliche ausgewählt haben. Das ist doch eigentlich sehr überraschend.
Man könnte natürlich auch fragen, warum die anderen vorgeschlagenen Projekte nicht ausgewählt wurden. Die drei kirchlichen Projekte waren für mich einfach die überzeugendsten. Es mag überraschend sein, aber es ist doch vielmehr faszinierend, dass im 21. Jahrhundert die katholische Kirche der Steiermark als eine sehr alte, der Tradition und der Vergangenheit verbundene Organisation Projekte initiiert und zuwege bringt, die einem den Puls in die Höhe treiben und mit ihrem innovativen Gestus vieles aus der säkularen Welt alt aussehen lassen. Die Architektur dieser drei Projekte erscheint mir wie ein Teil einer größeren Geschichte, da drängt sich nichts einfach in den Vordergrund, die Eingriffe sind sehr einfühlsam. Sie erscheinen wie Türöffner in einen tieferen, spirituellen Bereich. Es gibt so viele großartige Details und architektonische Gesten bei diesen Projekten. Die säkulare, kapitalistische Gesellschaft muss sich doch fragen, warum sie nicht Schritt halten kann mit dieser Art von Projekten. Aber auch, was sie davon lernen könnte.
Sehen Sie etwas Gemeinsames und Verbindendes zwischen den drei doch sehr unterschiedlichen kirchlichen Projekten?
Das Verbindende ist, dass sie alle mit kleinen Gesten intervenieren und das über längere Zeiträume entfalten und entwickeln.
In Mariazell zum Beispiel hat das vor fünfundzwanzig Jahren begonnen mit ein paar Lampen in einem nur von Priestern benutzten Nebenraum. Und dann kamen Stück für Stück ein Lift, eine neue Tür, die Erneuerung der Schlafräume. So wurde schrittweise und sehr behutsam der ganze Baukomplex verändert und architektonisch verbessert.
Auch wenn in St. Lambrecht der Gestaltungsprozess noch nicht so lange andauert, ist es auch eine Reihe kleiner Veränderungen und Eingriffe. Jeder Eingriff antwortet sensibel auf die vorhergehenden Eingriffe, und so entsteht mehr und mehr im Sinn einer lebendigen architektonischen Gesamttextur.
In der Wolfgangikirche ist das wieder ganz anders. Der Eingriff erfolgt an einer Kirche, die nicht vollendet wurde, und subtil wird hier der historische Bau in die offene Landschaft hinein für Besucher und Wanderer geöffnet. Es ist sicher vergleichsweise der bescheidenste Eingriff, aber er ist faszinierend, weil er den spiritus loci mit minimalen, aber sehr durchdachten Eingriffen verstärkt. Ich spüre da auch den Beginn einer längeren Geschichte, und ich habe ja auch gehört, dass es dort noch weitergehen wird mit den Umgestaltungen.
Neben der Tatsache, dass es sich bei allen Projekten um eine Reihe kleiner, durchdachter, behutsamer, aber einfach auch cleverer Eingriffe handelt, ist allen auch gemeinsam, dass sie sich dem Bestehenden einfügen, in gewisser Weise unterordnen. Ihre architektonische Kraft gewinnen alle drei Projekte nicht dadurch, dass es sich um großartige Neubauten handelt, sondern um sensiblen Umgang mit bereits Vorhandenem. Trotz einer fast demütig zu nennenden Haltung geht das aber weit über bloßes Restaurieren und Adaptieren hinaus, es geht um vielschichtigen räumlichen und materiellen Dialog mit den historischen Bauten.
Ich wollte da auch auf eine beispielhafte Grundhaltung aufmerksam machen. Mir scheint es keine gute Entwicklung unserer Zeit zu sein, dass Architekten ihre Bauten nur als ihr Werk, als ihren Besitz sehen. Ich denke, hier müsste ein Umdenken erfolgen, das der Architektur insgesamt sehr guttun würde. Gerade bei kirchlichen Bauten kommt doch zum Tragen, dass das Gebäude weder dem Bauherrn noch dem Architekten gehört. Das kommt in Mariazell in der Zusammenarbeit von Bauherrn und Architektenteam besonders schön zum Ausdruck. Beide verstehen sich in gewisser Weise als Kustoden von Dingen, die ihnen nicht gehören, die ihre Geschichte haben und für eine weitere Geschichte freigegeben werden. Das erscheint mir wie eine Gegenstrategie zum Denken unserer kapitalistischen und eben auch sehr egoistischen Gesellschaft.
Sehen Sie das auch als spirituellen Impuls für unsere Zeit?
Ich bin in einer christlichen Familie aufgewachsen und habe als Kind gelernt, dass man mehrmals am Tag beten soll. Ich denke, Wiederholung ist etwas ganz besonders Wichtiges. Man betet nicht nur einmal im Jahr zu Jahresbeginn ganz besonders hart und intensiv und den Rest des Jahres nicht, sondern man tut es doch Tag für Tag, sonst macht es gar keinen Sinn.
Wir Menschen leben von einer Kultur
der Kontinuität und des permanenten
Überprüfens. Die Architektur unserer Zeit erscheint mir meistens als das genaue Gegenteil davon. Wir errichten in möglichst kurzer Zeit Gebäude mit möglichst dauerhaften Materialien, die keine Reparaturen benötigen. Aber diese Materialien haben den schlechtesten ökologischen Fußabdruck. Wir müssen die Architektur verändern, müssen Materialien verwenden, um die man sich immer
wieder kümmern muss. Materialien, die
wartungsintensiv sind, aber einen geringen CO²-Ausstoß haben. Zu solchen Materialien – etwa Dächern aus Stroh oder Fassaden aus Lehm – braucht es Beziehung. So entsteht auch Lebendigkeit.
Das ist es auch, was diese drei Projekte ausmacht, sie sind nicht in einem einzigen Anlauf entstanden, sondern Schritt für
Schritt in einem lebendigen Prozess. Das macht sie so überzeugend, aber eben auch ökologisch sinnvoll. Nicht zuletzt liegt darin auch ihre spirituelle Kraft. Sie sind nicht
hastig entstanden, sondern wohlüberlegt, und man hat sich Zeit gelassen mit den
Interventionen. Das macht sie auch so
besonders.
Qualität braucht einfach Zeit. Ich bin der Meinung, dass man davon sehr viel lernen kann. Architektur sollte insgesamt viel stressfreier sein, eine gewisse Langsamkeit würde dem Bauen sehr guttun. Wenn Gebäude mehrere Generationen überdauern sollen, dann müssen sie langsam und schrittweise gebaut werden.
Interview: G. Schaller-Pressler, A. Kölbl
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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