Folke Tegetthoff - grazERZÄHLT
Geschichten sind Ausdruck einer Ursehnsucht
Folke Tegetthoff, der bekannte steirische Geschichtenerzähler, im Gespräch mit dem SONNTAGSBLATT übers Zuhören und Erzählen und seine Idee, ein Festival der Geschichten zu initiieren.
Im Rahmen von grazERZÄHLT gibt es zwei Veranstaltungen im Mausoleum neben dem Grazer Dom – was erwartet die Besucherinnen und Besucher an den beiden Abenden?
„Vom Wunder (Zu)Hören“ ist das Galaprogramm meiner „Schule des Zuhörens“, ein Workshop, den ich seit nunmehr 13 Jahren sehr erfolgreich in inzwischen 14 Ländern und vor rund 100.000 Menschen gehalten habe. Gemeinsam mit der Cellistin Sophie Abraham erzähle ich in einer Mischung aus Theoretischem und Geschichten vom Ohr, vom Hören, von der Problematik einer völligen Übervisualisierung und, daraus resultierend, von der ständig wachsenden Unfähigkeit, einander zuzuhören. 70 sehr intensive Minuten, in denen ich meinen ZuhörerInnen die Faszination reinen, puren Zuhörens vermitteln möchte.
Bei „Gott und die Welt“ versuchen fünf KünstlerInnen auf unterschiedlichste Weise, einen Zugang zu diesem wahrscheinlich ältesten Thema der Menschheitsgeschichte zu finden, der Frage nach dem Sinn unseres Daseins. Die Religionen haben mit der großen Erzählung von Gott eine mögliche Antwort geschaffen, und eine der wesentlichsten Gemeinsamkeiten aller Religionen ist es, darüber Geschichten zu erzählen. Weil man weiß, dass nichts so sehr im Gehirn und in weiterer Folge im Gedächtnis verankert bleibt wie eine erzählte Geschichte. Weil sie mit Emotionen verknüpft ist und die dadurch entstehenden Bilder einfacher gespeichert werden können.
An diesem Abend erleben wir Musik mit der fantastischen kubanischen Musikerin Milagros Pinera Ibaceta, klassische Volksmärchen mit Helmut Wittmann, zeitgenössische Dichter von einem der Shootingstars der Theaterszene, der Schauspielerin Veronika Glatzner, die faszinierenden Märchen, gemalt aus Sand, der ukrainischen Sandmalerin Uliane Dorofevva. Und ich freue mich ganz besonders, an diesem Abend meinen 25-minütigen Film „Das Geheimnis des Engels von Piran“ als Österreichpremiere präsentieren zu dürfen!
Wie kamen Sie auf die Idee, ein Festival zum Thema Geschichten-Erzählen zu initiieren?
Vor 33 Jahren war ich zum ersten Mal für eine Tournee in Israel eingeladen und wurde dort mit der unglaublich vielfältigen und wichtigen Kunst des Geschichtenerzählens im und für den jüdischen Glauben konfrontiert. Auf dem Rückflug las ich zufällig eine Kolumne in einem österreichen Blatt, das ich normalerweise nie zur Hand nehme. Es war ein schrecklicher Kommentar über das gerade anstehende „Bedenkjahr“ 50 Jahre Anschluss an Hitlerdeutschland.
Spontan kritzelte ich auf eine Serviette das Konzept für ein Geschichtenfestival mit jüdischen Erzählern und jüdischer Musik – als meinen Beitrag zu diesem besonderen Jahr. Sechs Monate später fand dann „Die lange Nacht der Märchenerzähler“ zum ersten Mal statt und wurde ein so großer Erfolg, dass ich das Festival (zu dieser Zeit war es ein „Touring Festival“, jeweils einen Tag in allen Landeshauptstädten) im nächsten Jahr wiederholte. Im dritten Jahr war es Afrika gewidmet und ab dem vierten Jahr dann mit Erzählern aus aller Welt. Heute ist es das AUSTRIA INTERNATIONAL STORYTELLING FESTIVAL, unter dessen Dach wir inzwischen fünf Festivals in drei Bundesländern (Steiermark, Niederösterreich und Wien) organisieren.
Kann jede/r Geschichten-Erzähler/in sein bzw. werden? Was macht eine gute Erzählerin und einen guten Erzähler aus?
Jeder Mensch IST ein Geschichtenerzähler! Ich werde nie müde, darauf hinzuweisen, dass wir es jeden Tag und immerzu tun: Wir versuchen das, was uns bewegt, so zu einem Gegenüber zu bringen, dass dieses Gegenüber uns zuhört. Und intuitiv wissen wir, dass wir dies bestmöglich schaffen, indem wir erzählen, also „Persönliches in seine Rede einfließen lassen“.
Warum braucht die Welt Geschichten und Geschichtenerzähler/innen?
Wir reden hier von der ältesten Form menschlichen Ausdrucks – weitaus älter als das geschriebene Wort, lange bevor Musik erfunden wurde. In dem Augenblick, als Menschen begannen, ihre Gedanken, Gefühle, Hoffnungen und Sehnsüchte in Worte zu fassen, in dem Augenblick begannen sie, Geschichten zu erzählen. Und so ist es bis heute geblieben. Auch Emoticons (z. B. Smileys – Anm.) und Bilder auf Instagram sind nichts anderes als der Ausdruck dieser Ursehnsucht – eben nur in anderer Form.
Erzählen Sie auch Geschichten aus der Bibel?
Nein – ich schreibe sie! Ich habe sehr, sehr viele, wie ich es nenne, „Fußnoten zur Bibel“ geschrieben. In praktisch all meinen Büchern finden sich Geschichten zu oder rund um Gott. Als evangelisch Getaufter bin ich heute überzeugter Atheist, aber mit einer sehr starken Beziehung gerade zur katholischen Kirche – es ist gerade so, als würde irgendeine Kraft und Macht mich doch noch überzeugen wollen …
In unserem ersten Haus, einer alten Mühle in der Oststeiermark, hatte ich als Bedingung die hauseigene Kapelle zu betreuen. Dann kauften wir ein ehemaliges Kloster der Schulschwestern in der Südsteiermark, in dem wir heute seit 30 Jahren leben und ich die hauseigene Kapelle, anstatt sie zu entfernen, restaurieren ließ. Und mein neues, zweites (erstes …) Zuhause ist in Piran, wo wir im Pfarrhof wohnen. In einer fantastischen „Kommune“ mit dem Pfarrer, der unser bester Freund ist. Und ich war es, der dem berühmten „Engel von Piran“ nach 250 Jahren (!!!) eine, seine Geschichte geschrieben hatte.
Was fällt Ihnen persönlich leichter: Erzählen oder Zuhören?
Das ist sehr einfach zu beantworten:
ZUHÖREN! Denn nur wer zuerst zuhört – wem auch immer: der Natur, einem anderen Menschen oder Gott – kann eine Geschichte erzählen. Sonst ist die Geschichte nichts als Ausdruck seiner Selbst.
Interview: Katharina Grager
Internationales StorytellingFestival 2020
Von 19. bis 30. September 2020 erobert Folke Tegetthoffs Festival der Geschichten die Steiermark!
Im Rahmen von grazERZÄHLT, vorauERZÄHLT und badgleichenbergERZÄHLT finden bei diesem „FESTIVAL DER HOFFNUNG“ insgesamt 19 Programmpunkte mit 28 Künstlerinnen und Künstlern aus zehn Nationen an außergewöhnlichen Locations statt.
15 Jahre lang war es DAS Pfingstfestival in Graz – coronabedingt wurde das „FESTIVAL DER HOFFNUNG“ in einer großen Kraftanstrengung in den September verschoben. Und es wird stattfinden! Neben grazERZÄHLT von 19. bis 30. September 2020 werden auch vorauERZÄHLT (25. und 26. September), badgleichenbergERZÄHLT (30. September und 13. bis 15. November) sowie fabelhaft!NIEDERÖSTERREICH in Bad
Schönau und Schwarzenau (1. bis 4. Oktober) stattfinden.
Benefizgala für den Grazer Dom
23. September, 19 Uhr
Mausoleum, Burggasse 3, Graz
Bei der Benefizgala zu Gunsten der Renovierung des Grazer Doms erzählt Folke Tegetthoff aus seiner „Schule des Zuhörens“ das Programm VOM WUNDER (ZU)HÖREN, gemeinsam mit der Cellistin Sophie Abraham. Tickets sind um 25 Euro im Kircheneck (Herrengasse 23 in Graz, Di.–Fr. 10–18 Uhr) sowie an der Abendkasse erhältlich. Vorreservierungen unter
office@storytellingfestival.at möglich.
„Gott und die Welt“ – Abend mit Geschichten aus den Weltreligionen
24. September, 19 Uhr
Mausoleum, Burggasse 3, Graz
Gerade in Krisenzeiten steht ER hoch im Kurs: ER, von dem erzählt wird, er hätte ALLES geschaffen, folglich muss es auch die Krise gewesen sein, ER, von dem wir uns ALLE (ER)Lösung erhoffen. IHM widmen Folke Tegetthoff & Friends diesen Abend im dafür bestmöglichen Rahmen von Graz – dem Mausoleum! Mit Uliana Dorofeeva (Sandmalerin aus Russland), Milagros Pinera Ibaceta (Musikerin aus Kuba), Veronika Glatzner (Schauspielerin aus Österreich), Helmut Wittman (Erzähler aus Österreich) und Folke Tegetthoff.
Tickets sind online unter ticketzentrum.at
oder im Ticketzentrum Graz erhältlich. Vorverkauf 21,40 Euro, Abendkassa 25 Euro (Ermäßigungen für Sparkassenkunden: Vorverkauf 17,40 Euro, Abendkasse 21 Euro).
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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