Mutworte - Br. David Steindl-Rast, OSB.
Verinnerlichte Ernte

Foto: Remler

Verinnerlichung: die lebenslange Hauptaufgabe unseres Lebens, die erst im Sterben Erfüllung findet. Verinnerlichung ist zunächst Vereinfachung von Vielfalt. Wir können Gewicht legen auf Äußerlichkeiten – in der Mehrzahl, denn es gibt deren viele. Aber wir können auch die Innerlichkeit in den Mittelpunkt rücken. Dass dieses Wort meist in der Einzahl verwendet wird, ist sinnvoll: Die Bewegung von außen nach innen geht von Vielfalt Richtung Einfalt. Hier bedeutet Einfalt keinesfalls einfältige Beschränktheit, sondern echtes, reines, schlichtes Eins-Sein mit sich selbst.

Äußerlichkeit hat oft den Beigeschmack von Oberflächlichkeit, verdient dies aber nur, wenn sie gegen Innerlichkeit ausgespielt wird. Richtig verstanden, ergänzen die beiden einander wie Erntefeld und Scheune. Was uns äußerlich verloren geht, kann uns innerlich erhalten bleiben durch Erinnerung. Das ist ein Vorgang von Verinnerlichung, mit dem wir alle vertraut sind. Die Vielfalt unserer Erfahrungen wird durch das Erinnern verinnerlicht, vereinfacht und zur Einheit – wird zu unsrem innerlichen Besitz.

Erst im Sterben zeigt Verinnerlichung ihre volle Bedeutung. Wenn alles Äußere an uns schwindet, bleibt doch das Innere. Unser Selbst rührt an Bleibendes, weil unser Innen-leben sich letztlich als Dialog mit unsrem Großen Du abspielt. Daher dürfen wir hoffen, dass die verinnerlichte Ernte unsres Lebens in diesem bleibenden Du geborgen bleibt. An Bleibendes aber rühren wir freilich nur dann bewusst, wenn wir lernen, wach im Jetzt zu leben.

Aus: Rudolf Bischof, Klaus Gasperi (Hg.): Den Himmel mit den Händen fassen. Tyrolia, 2022.

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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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