Positionen - Elisabeth Wimmer
Verborgene Netze
Von der Lichtung schaue ich in Richtung der steirisch-kärntnerischen Grenzberge. Im Frühling habe ich hier auf einsamen Lockdown-Waldwegen an der Seite junger Birken die Wärme begrüßt. Ihre Blattspitzen zählten die Tage, jetzt blättert das gelbbraun gefleckte Laub wieder eine Seite im Jahr um. Und erinnert daran: In teils sichtbare, teils verborgene Geflechte aus Zeit und Schöpfungskraft ist unser Leben eingewoben.
Freilich, nicht alle Netze nehmen uns freundlich auf. In einigen Fäden verheddern wir uns, aus manchen (etwa Beziehungs- oder Konsum-)Netzen müssen wir uns befreien. In andere aber speisen unsichtbare Kraftwerke ihr Energie ein, und wir können daraus schöpfen.
Etwa aus dem Netzwerk der Dichter, einer poetischen Welt- und Zeitengemeinschaft: Ihre transparenten Worte lassen durch den Alltag hindurchsehen und geben Unsagbarem Resonanz. Da sind auch die biblischen Erzähler, ein Zeiten überspannender Beruf(ung)sstand: Der Himmel spricht uns in Augenblicken durch sie an. Da sind Netze aus Betenden, Meditierenden, Ringenden in sehr verschiedenen Tonarten.
Und da ist ein tatkräftiges Netz, geflochten von Menschen in Gemeinschaften, Schulen, Pfarren. Die anpacken, vorbereiten, ordnen. Die neue Wege suchen für Begegnungsmöglichkeiten und Unterricht, fürs Festefeiern, auch unter den speziellen Bedingungen dieses Jahres – und die jede Veranstaltung coronatauglich neu erfinden.
Viele Netze, viele verborgene „Kraftwerke“. In welches Gewebe spinnen wir die eigenen Fäden ein? Unsere Wahl. Etwas Gelbbraunes fällt zu Boden. Der Herbst blättert um.
Elisabeth Wimmer
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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