Positionen - Elisabeth Wimmer
Strom und Ströme

„Wir sind Bedeutungs-Generatoren“, sagte kürzlich der Wiener Autor Semier Insayif bei einer Online-Lesung. Es ging da ums Sprache-Verstehen. Ich denke, das gilt aber auch fürs Leben-Verstehen: Wie Generatoren, die Bewegung in eine andere Form von Energie – elektrische – verwandeln, erzeugen wir Bedeutungsgeschichten aus den Bewegungen unseres Lebens, die Kraft ins Lebensstromnetz einspeisen.
Dass wir verstehen wollen, was uns widerfährt, verbindet uns mit Menschen aller Zeiten und deren (Be-)Deutungsgeschichten, zum Beispiel biblischen. Wir möchten, dass ein Zusammenhang uns zeigt, wie die Ereignisse ineinander spielen, warum sich etwas so und nicht anders zuträgt und was unsere Aufgabe in diesem Gefüge sein kann. Wir wollen Sinn finden, unseren passenden Platz sehen in der Bilder-Geschichte, die das Leben mit uns schreibt. Und wir mit ihm. Dabei können wir, besonders in unübersichtlichen Situationen, auch in die Irre gehen und Fehldeutungen nachlaufen. In unserer von Deutungen zerspragelten Welt genau hinzusehen ist wichtig: Von welchen Erzählströmen lassen wir uns tragen?
Manche Traditionen nährten durch die Zeiten gut. Weil sie Lebensdinge erzählen, die sich zwar stets in neue geschichtliche Gewänder kleiden, in deren Kern jedoch etwas von ewigen Menschenfragen brennt: Welche Wurzel nährt mich, welchen Schmerz spüre ich? Wo finde ich den Weg über den Berg, und wer wohnt dort? Was wird sein, wenn heute vorüber ist? Kann es überhaupt morgen wieder so werden, wie es gestern war? Ist das Frühere wirklich vergangen? Was bin ich dir?

Elisabeth Wimmer

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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