Positionen - Christian Teissl
Österliches Finden

„Herr Gott, hilf mir heute ein wenig! Ich habe vor, ein Kind glücklich zu machen, und bin selbst zu arm. Lass mich einen Menschen finden, der mich in meiner Absicht unterstützt, aber lass mich diesen Menschen noch vor fünf Uhr finden!“ Dieses ungewöhnliche Stoßgebet steht in dem Roman „Das geheime Brot“ von Johannes Mario Simmel, der dieser Tage hundert Jahre alt wäre.

In einer seltsamen Mischung aus märchenhaftem Ton und realistischem Blick schildert er eine Gruppe von Menschen, die im Trümmerwien der Nachkriegsjahre zueinander finden und füreinander Familie sind. Der Fürsorglichste von ihnen, der Armenier Aram, macht sich an einem Karsamstag auf, um für seine Ziehtochter Ruth ein Ostergeschenk zu besorgen. Allerdings sind seine Taschen leer, und alle Freunde aus besseren Tagen stellen sich taub. Erschöpft und traurig sitzt er auf einer Parkbank, da hört er plötzlich eine vertraute Stimme seinen Namen rufen. Es ist Yvonne, jene Frau, die ihn einst verlassen hat. Sie zögert keinen Augenblick und hilft: „Schließlich haben wir uns doch einmal geliebt.“

Was Simmel hier erzählt, ist keine fromme Osterlegende, doch eines jener unscheinbaren Wunder, wie sie sich nicht nur im Roman ereignen.

Christian Teissl
teissl@mur.at

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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