Mutworte - Sabine Petritsch
Mut der Langsamkeit

Foto: Neuhold

Mittlerweile habe ich ein ambivalentes Verhältnis zu Schnecken aufgrund ihrer Liebhabe zu meinem Gemüse und den Kräutern, aber als Kind haben sie mich, besonders die Weinbergschnecken, fasziniert. Ihr Haus habe ich liebend gerne betrachtet und mit meinen Fingern die spiralenförmigen Linien auf ihrem braun schattierten Haus nachgezeichnet. Ich wollte sie sogar als Haustier beherbergen, um dem sanften, rhythmischen Kriechen nach-zuschauen.

Wie komme ich nun jetzt wieder darauf? Die Weinbergschnecke kommt mir manchmal in der Begleitung von Menschen in den Sinn, wenn sie Schritt für Schritt ihr Inneres erkunden, das Schöne und Belastende in den Blick nehmen. Um Seelenräumen gewahr zu werden, braucht es wohl diese Langsamkeit, Geduld, Zeit um sich zurückzuziehen und letztlich auch den Mut, sich selber Entwicklung zuzutrauen.

Es ist für mich ein heiliges Geschehen, das sich ereignet. Und dann und wann passiert es tatsächlich meist unerwartet – das Haus wird gesprengt und abgeworfen. Ein großer Ballast fällt ab. Dann gilt es sich einzustellen, ohne schweres Gepäck weiterzugehen… Es ist ein Kraftakt der Auferstehung, der sich hier ereignet und Mut erfordert, vor allem ins eigene Haus zu schauen und dieses dann zu sprengen. Die Weinbergschnecke ist nicht umsonst Symbol für die Auferstehung.

So freue ich mich immer, wenn ich so einem „Häusel-Schneckerl“ begegne, und bleibe fasziniert beobachtend vor ihm stehen und bewundere seinen Mut.

Sabine Petritsch ist Theologin und zertifizierte Pastoralpsychologin.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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