Mutworte - Ruth Zenkert
Ich bin es auch!

Foto: privat

Ein kleines Mädchen mit zerzausten Haaren läuft durchs Haus, reißt alle Türen auf und schlägt sie hinter sich zu. So mustert Ana alle Zimmer. Sie geht zurück, zeigt auf eine Türe und bestimmt: „Hier werde ich wohnen.“ Es ist der Tag, an dem wir das „Kinderhaus Ilie“ eröffnen. Die Kinderschutzbehörde hat die ersten acht Kinder gebracht. Manche wurden von der Straße aufgelesen, andere mussten von ihrer Familie weggenommen werden. Im neuen Kinderhaus sollen die Kinder wieder lachen können.

Die Neuankömmlinge sind scheu. Nur unsere kleine Ana ist von Beginn an vorlaut. Wir wollen alle kennen lernen. Die meisten erzählen nichts. Außer Ana: „Meine Eltern sind total verrückt, und ich bin es auch! Ich werde euch das Leben zur Hölle machen, weil ich mit allen streite und mich sogar mit den Großen prügle.“ Die Kinder lachen, die Erzieherinnen erbleichen.

Was macht Ana so stark? An ihr erfüllt sich das väterliche Wort des Noach, der seine Kinder ganz realistisch sieht. Jafet zeichnet sich durch sein weites Herz aus. Er ist zu Großem berufen, während Hams Sohn Kanaan seine Fesseln nicht los wird. Er ist belastet durch das Vergehen seines Vaters. Er musste ihn bekämpfen, während seine Brüder zu ihrem Vater standen, vielleicht ahnend, dass sie nicht nur seine Stärke, sondern auch seine Schwäche in sich trugen. Ana hat die Nähe auf den Punkt gebracht: „Meine Eltern sind verrückt, und ich bin es auch.“ Sie bekennt sich zu den Eltern in deren Not. Darin könnte das Geheimnis ihrer Stärke liegen.

Ruth Zenkert ist Mitarbeiterin der von P. Georg Sporschill, SJ., gegründeten sozialen Werke in Rumänien.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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