Mutworte - Anna Schreiber
Hoffen lernen

Foto: privat

„Was darf ich hoffen? Diese kantische Frage treibt mich angesichts der aktuellen Weltlage um, raubt mir meinen Schlaf, lässt mich fragend und ratlos stehen.“

Rainer Maria Rilke schrieb vor fast 120 Jahren an einen Freund: „Auch zu lieben ist gut: denn Liebe ist schwer. Liebhaben von Mensch zu Mensch: das ist vielleicht das Schwerste, was uns aufgegeben ist, das Äußerste, die letzte Probe und Prüfung, die Arbeit, für die alle andere Arbeit nur Vorbereitung ist.“ An die Stelle des Wortes „Liebe“ setze ich gerade das Wort „Hoffnung“ – und mir erschließen diese kostbaren Worte einen ganz neuen Raum: Es ist nämlich nicht nur mit der Liebe ganz schön schwer, sondern auch mit der Hoffnung. Vielleicht wird uns auch mit der Hoffnung Schweres aufgegeben, vielleicht ist zu hoffen angesichts von Schrecklichem eine Aufgabe, für die alles andere nur Vorbereitung ist. Das leichthin Dahergesagte „Es wird schon alles gut gehen“, das greift nicht. Es geht nicht alles gut. Es ging nicht immer alles gut. Und es steht zu befürchten an, dass auch in Zukunft nicht alles gut gehen wird. Was dann?

Wenn Hoffnung eine Aufgabe darstellt, dann kommt es darauf an, das Hoffen zu lernen. Hoffen kann unsere bewusste Entscheidung werden, die wir mit klarem Verstand und Herz treffen und immer wieder neu einüben. Dann verpflichten wir uns, die Hoffnung in uns immer wieder aufzubauen, zu stärken – gerade wenn es nicht gut aussieht. Ich verstehe diese Haltung der Hoffnung als ein Ja zum Leben.

Vielleicht stirbt die Hoffnung nie. So wie die Liebe. Und wir müssen daran mitwirken.

Dipl.-Psych. Anna Schreiber ist Psychotherapeutin in Karlsruhe.

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ