Mutworte - Ruth Zenkert
Haben Plagen Sinn?
Unter dem Altar lag Ionuz und schnarchte laut. Ein kleiner, zarter Bub, barfuß, alles an ihm strotzte vor Dreck. Er war völlig übermüdet, weil er die ganze Nacht mit den Großen unterwegs gewesen war. Die Mutter scherte sich nicht darum, der Vater ist schon lange über alle Berge. Wir nahmen den Buben auf. Er wollte nicht lernen, oft bog er auf dem Weg zur Schule vorher ab, in die Felder, zu den Pferden, in die Freiheit. Es blieb ein Kommen und Gehen.
Jetzt ist er vierzehn Jahre alt und steht vor dem Nichts. Keiner will ihn. Energydrinks, Alkohol, Zigaretten sind sein Vergnügen. Wir machten einen neuen Versuch. Doch er ist immer ein Störenfried und stachelt die anderen zu Blödsinn auf. Ionuz wird zur Plage für das ganze Dorf. Natürlich ist er durch das, was er durchgemacht hat, selbst von vielen Plagen gequält. Dabei ist er ein witziger Bursche, der sich durchzuschlagen weiß und stärker ist als viele andere, wenn auch nicht im guten Sinn. Er ist zerstörerisch.
Neulich wollte Hermine aus dem Kinderhaus weglaufen. Sie hatte keine Lust zu lernen. Die anderen bestürmten sie: „Wo willst du hin? Du hast kein anderes Zuhause. Willst du etwa werden wie Ionuz?“ Nein, das wollte sie nicht. Da setzte sie sich widerwillig hin und addierte die langweiligen Ziffern zusammen. Die Plagen des unbändigen Ionuz sind nicht zu Ende, aber immerhin haben sie ein kleines Mädchen davon abgeschreckt, ihr Leben wegzuwerfen. Es bleibt die Frage: Welchen Sinn haben Plagen? Wen schützen und befreien sie? In diesem Licht kann ich anschauen, was mich quält.
Ruth Zenkertist Mitarbeiterin der von P. Georg Sporschill, SJ., gegründeten sozialen Werke in Rumänien. Aus: elijah.ro/bimail
Autor:SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT |
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