Mutworte - Franz Troyer

Engel beherbergen

„Wie heißt die erste namentlich bekannte Christin Europas?“ lautete vor Jahren eine Frage in einer bekannten Quizshow. Es ist die Purpurhändlerin Lydia. Sie steht als Frau einer großen Hausgemeinschaft vor. Gerade im Blick auf die damals patriarchale Gesellschaft fällt dies auf und deutet auf einen größeren Besitz hin. Sie ist keine geborene Jüdin, wohl aber Sympathisantin des Gottes Israels.
Paulus und Lydia treffen in Philippi aufeinander. Lydia scheint eine entschlossene Frau zu sein. Sie lässt sich sofort mit dem ganzen Haus taufen und lädt Paulus und seine Begleiter nachdrücklich in ihr Haus ein. Die große Missionstätigkeit des Paulus wäre nie möglich gewesen, wenn nicht viele Frauen und Männer wie Lydia oder Priska und Aquila ganz selbstverständlich Gastfreundschaft gepflegt und ihre Häuser für christliche Versammlungen zur Verfügung gestellt hätten.
Dass Lydia einen Fremden wie Paulus aufnimmt, steht ganz in der biblischen Tradition. Wie oft lesen wir dort, dass müde Wanderer und Fremde selbstverständlich willkommen geheißen werden. Abraham etwa läuft bei den Eichen von Mamre den drei Gästen entgegen und sagt: „Man wird etwas Wasser holen, dann könnt ihr euch die Füße waschen und unter dem Baume ausruhen“ (Gen 18,4). Der Dienst an den Gästen steht für Abraham außer Zweifel. Er ahnt noch nicht, dass darin sogar Gottesbegegnung geschenkt wird. „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt“, bringt es der Hebräerbrief auf den Punkt.

Aus: „Ihren Spuren folgen. Die Botschaft biblischer Gestalten für Menschen von heute“,
Verlag Tyrolia. Dr. Franz Troyer ist Priester der Diözese Innsbruck.