Positionen - Svjetlana Wisiak
Einspruch!

Ich gestehe: Schuldig im Sinne der Anklage! Auch ich besuche regelmäßig die – wie die „Salzburger Nachrichten“ am 18. Mai 2022 sehr treffend formulierten – „Voyeurismus-Festspiele“. Als Kind des Satelliten-Fernsehens bin ich schon früh in den Bann Hollywoods geraten. Glücklicherweise hat diese Passion zur Blütezeit des Reality-TVs rapide abgenommen. Seinem Suchtfaktor kann ich mich aber nicht immer entziehen. Wie Millionen (!) andere verfolge ich seit Mitte April den Verleumdungsprozess Johnny Depps gegen dessen Ex-Frau Amber Heard. Er hinterlässt bei mir, die ich mit meinem Mann in einer ausgeglichenen, gleichgestellten, glücklichen Ehe lebe, einen bitteren Beigeschmack.
Spätestens seit Aufflammen der „Me Too“-Debatte schreitet die Sensibilisierung gegenüber der Gewalt an Frauen voran. Und das ist auch gut so. Für problematisch halte ich jedoch den Effekt, den dieser Schauprozess auf die öffentliche Wahrnehmung hat. Ebenfalls am 18. Mai berichtete die „Kleine Zeitung“ von einer jungen Frau, die am Rande des Grazer Stadtparks glimpflich einer Vergewaltigung entgangen ist. Ihr Erlebnis bei der Polizei anzeigen wollte sie zunächst nicht – aus Angst um ihre Glaubwürdigkeit. Geschauspielert oder nicht: Die breitenwirksame Inszenierung jener höchst unterhaltsamen Hollywood-Schlammschlacht droht, bisherige Fortschritte zunichtezumachen.
Nun kritisiere ich niemanden, der abends mit frischem Popcorn der Depp-Heard-Saga folgt. Ich bitte dennoch um kritisches Hinterfragen des Gesehenen, bevor es aus dem Heimkino wieder ins wahre Leben zurückgeht.

Svjetlana Wisiak

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ